Gewalt
Ausgabe 2/2020
Welche Zugänge wählen wir bei diesem Thema? Wie illustrieren wir die kommenden Seiten? Darüber haben wir lange in der Redaktion diskutiert. Das Thema wiegt schwer. Unterschiedlich und vielfältig sind unsere Erfahrungen.
Gewalt widerfährt uns in den engsten Beziehungen, in unseren Gemeinschaften, in aller Öffentlichkeit vor aller Augen (und Menschen, die wegsehen) und vor allem dort, wo wir verwundbar sind – sogar im Kreißsaal. Es geht dabei immer um Macht, so Etta Hallenga von der Frauenberatungsstelle Düsseldorf. Im Interview auf den kommenden Seiten berichtet sie von ihrer Arbeit, auch unter den Bedingungen der Pandemie. Und sie erklärt, warum es so wichtig ist, Gewalt deutlich beim Namen zu nennen.
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Ist es überhaupt möglich, beim Thema Gewalt in die Offensive zu kommen? Argentinische Feministinnen schlagen vor, Ungehorsam zum Ausgangspunkt zu nehmen und eine „Sprache der Befriedung oder der Trauer und des Leids“ zu vermeiden, so Verónica Gago. Wir veröffentlichen eine ihrer „Acht Thesen zur feministischen Revolution“ in diesem Heft, dazu eine Einleitung von Alex Wischnewski.
In diesem Jahr gingen das Lied und die gemeinsame öffentliche Performance „Un violador en tu camino“ (Ein Vergewaltiger auf deinem Weg) chilenischer Frauen viral. Auch in Deutschland brachten Frauen sie unter dem Titel „Der Vergewaltiger bist du“ am 8. März auf die Straße. „Es war nicht meine Schuld, nicht der Ort, an dem ich war, nicht das, was ich anhatte“, heißt es darin. Mit dem Finger wird auf den patriarchalen Staat, die Richter, die Polizei gezeigt.
Die Verhältnisse in Chile und Deutschland sind nicht die gleichen. Es gibt Unterschiede, auch hierzulande: „Ohne Angst vor Konsequenzen den Polizeinotruf wählen zu können, ohne die Vor- und Nachteile abwägen zu müssen, eine Anzeige zu erstatten, ist ein Privileg. Wenn etwa gewaltbetroffene Frauen, Schwarze Personen und People of Color, queere Menschen, Sexarbeiter*innen, Menschen ohne Papiere/Aufenthaltsgenehmigung, Obdachlose oder organisierte Linke die Polizei rufen, bedeutet das nicht automatisch Hilfe, sondern oft Repression, Traumatisierung und Existenzbedrohung“, gibt Nicole Schöndorfer in ihrem Artikel „Unter uns“ in der Zeitschrift an.schläge (VII/2019) zu bedenken.
In Deutschland steigt die Zahl gewalttätiger Übergriffe auf LSBTIQ*-Personen. Daniela Weißkopf berichtet in unserer Ausgabe über Homo- und Transfeindlichkeit in Zahlen und über die Maßnahmen, welche die Politik ergreift. Tina Füchslbauer sprach mit Eike Sanders, Anna O. Berg und Judith Goetz vom Autorinnenkollektiv fe.in über die tödliche Mischung von Antifeminismus und Rechtsextremismus. Annegret Kunde schreibt über Frauen in Gefängnissen in den USA und die rassistischen Strukturen des „gefängnisindustriellen Komplexes“ (Angela Davis). Zudem gibt es in diesem Heft einen Artikel von ihr über Vergewaltigung als Mittel im Krieg.
(aus der Einleitung)
Covergestaltung 2020
Die vier WIR FRAUEN Titelcover in 2020 gestaltet die Künstlerin Anke Feuchtenberger, die schon vor 30 Jahren mit ihren Plakaten zur Gründung des Unabhängigen Frauenverbandes feministischen Forderungen Ausdruck gab. Wir hoffen, die Leser*innen freuen sich ebenso wie wir über die Zusammenarbeit!
Cover WF Ausgabe Sommer 2020: Anke Feuchtenberger und Nik Pitton
Inhalt dieser Ausgabe
Schwerpunkt: GEWALT
Einleitung: Gewalt
von Melanie Stitz
„Es ist wichtig, Gewalt klar zu benennen“
Interview mit Etta Hallenga (Frauenberatungsstelle Düsseldorf) von Melanie Stitz
Antifeminismus und Rechtsextremismus – eine tödliche Mischung
Interview von Tina Füchslbauer mit Eike Sanders, Anna O. Berg und Judith Goetz
Das Potenzial revolutionären Begehrens. Impulse aus Argentinien
Aus den „8 Thesen zur feministischen Revolution“ von Verónica Gago, mit einer Einleitung von Alex Wischnewski
Erfassung von Hasskriminalität gegen LSBTIQ* in Deutschland
von Daniela Weißkopf
Weggesperrt statt unterstützt – Frauen in US-Gefängnissen
von Annegret Kunde
Meine feministische Wahrheit
Im Würgegriff der Angst
von Christiana Puschak
Krieg & Frieden
Anklagen gegen Gewalt an Frauen
von Annegret Kunde
Frauen, raus aus der Finsternis! Das Potenzial einer Frauenbewegung in Südosteuropa
von Laura Meier
WHO CARES?! Kämpfe um Reproduktion und Gewerkschaftsarbeit
Von der weiblichen (Un-)Sichtbarkeit in Zeiten der Corona-Krise
von Isolde Aigner
Herstory
Letizia Battaglia: Die Anklägerin hinter der Kamera!
von Annegret Kunde
Margret Gottlieb (1923-2020) – Gedichte und ein Nachruf
von Florence Hervé
Projekte
Lila_bunt – feministische Bildung, Praxis und Utopie
Kultur
„… eine Einladung, sich zu verschwestern“ – Susana Thénons lyrik
von Isolde Aigner
Gesehen
Die Unbeugsamen
von Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel
Daten und Taten
Anna Halprin / Helga Prinzessin zu Löwenstein