SLAPP: Grundrechte auf der Anklagebank
Wie die Reichen und Mächtigen Kritiker*innen zum Schweigen bringen
von Tina Berntsen
(aus WIR FRAUEN Heft 2/2022: Kritik)
Ein „dramatischer Weckruf“ – so bezeichnete Věra Jourová, die für Werte und Transparenz zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission, die Ermordung von Daphne Caruana Galizia. Als die maltesische Investigativ-Journalistin nach jahrelangen Bedrohungen im Oktober 2017 durch eine Autobombe getötet wurde, waren fast 50 Klagen gegen sie anhängig – sogenannte SLAPPs: Einschüchterungsversuche von Politikern und Geschäftsleuten, über die sie u.a. wegen Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung berichtete.
Der Weckruf mobilisierte ein europaweites Bündnis, das solchen missbräuchlichen Klagen den Kampf angesagt hat. CASE (Coalition Against SLAPPs in Europe) gehören zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) an, darunter die Daphne Caruana Galizia Foundation, das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF), Reporter ohne Grenzen (RSF), Greenpeace und der LGBTI*-Dachverband ILGA-Europe.
SLAPP steht für Strategic Lawsuits Against Public Participation, zu Deutsch: strategische Klagen gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit. Der Begriff wurde vom Rechtswissenschaftler George W. Pring und der Soziologin Penelope Canan geprägt und erinnert an das Wort slap – jemanden schlagen / ohrfeigen. Denn diese Klagen werden gezielt eingesetzt, wie Pring 1989 schrieb, um
„Bürger*innen an der Ausübung ihrer politischen Rechte zu hindern oder sie dafür zu bestrafen, dass sie dies getan haben. SLAPPs senden eine klare Botschaft: dass es einen ‚Preis‘ dafür gibt, sich politisch zu äußern.“
Dieser Preis sind langwierige, kostspielige Gerichtsverfahren, die für die Betroffenen finanziellen Ruin oder gar Gefängnis bedeuten können.
Wie CASE im Bericht „Shutting out Criticism“ (dt. Kritik ausschließen) schreibt, war allein die größte polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza in den letzten Jahren Ziel von mehr als 60 Zivil- und Strafverfahren – viele eingeleitet von Politiker*innen der regierenden PiS-Partei. Betroffene sind sowohl mit mehreren Klagen gleichzeitig als auch mit verschiedenen Rechtssystemen konfrontiert. Beim sogenanntem „Forum Shopping“ wird gezielt in Ländern geklagt, wo die Gesetzeslage vorteilhafter scheint. So verklagte die maltesische Pilatus Bank Daphne Caruana Galizia wegen Verleumdung sowohl in Großbritannien als auch in den USA.
SLAPPs stützen sich meist auf den Vorwurf der Verleumdung, nutzen aber auch andere Rechtsgrundlagen aus, um unliebsame Berichterstattung zu unterbinden. Ob eine Klage realistische Erfolgsaussichten hat, ist dabei zweitrangig. Den Kläger*innen geht es vielmehr darum, kritische Stimmen einzuschüchtern, zu schikanieren und so letztlich zum Schweigen zu bringen. Selbst wenn die Verfahren oftmals erfolglos enden, kosten sie die Betroffenen Energie und Zeit, die sie nicht für ihre Arbeit nutzen können.
Die Praxis hat zugleich einen gewollt abschreckenden Effekt, der zur Selbstzensur führt, so dass aus Angst gelöscht oder gar nicht erst Kritik geäußert wird. Laut Julie Majerczak von RSF sehe die Realität so aus, dass weit mehr Journalist*innen durch Drohbriefe von Kanzleien diskret zum Schweigen gebracht werden.
Die Studie „Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!“ aus dem Jahr 2019 ergab, dass die Einschüchterung durch präventive Abmahnschreiben auch in Deutschland funktioniert. Vor allem aus finanziellen Gründen würden Medien dazu neigen, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen, um keinen Rechtsstreit zu riskieren. Neben den Prozesskosten stehen unverhältnismäßige Schadensersatzforderungen, teilweise in Millionenhöhe, im Raum. Damit gefährden SLAPPs insbesondere die Arbeit kleiner Medien und freier Journalist*innen, die ohne Gewerkschaft auf sich allein gestellt sind.
Zur Zielscheibe von SLAPPs können alle werden, die „sich kritisch gegenüber diejenigen äußern, die Macht und Zugang zu umfangreichen Ressourcen haben“, so CASE. Sowohl einflussreiche Personen als auch Unternehmen versuchen, sich auf diesem Weg der Rechenschaftspflicht zu entziehen. Sie bedrohen diejenigen, die öffentlich auf soziale, politische oder ökologische Missstände hinweisen – sei es durch journalistische oder wissenschaftliche Arbeit, Lobby- oder Gewerkschaftsarbeit, Protest oder auf anderem Wege. Sie schränken damit fundamentale Grundrechte wie Informations-, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit ein.
„Ein SLAPP ist (…) auch ein Schlag ins Gesicht der rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien an sich“, bringt es Veronika Feicht vom Umweltinstitut München auf den Punkt.
Um jene, die sich für Belange des öffentlichen Interesses engagieren, besser vor missbräuchlichen Gerichtsverfahren zu schützen, legte die EU-Kommission Ende April den Entwurf für eine Anti-SLAPP-Richtlinie vor. „In einer Demokratie dürfen Reichtum und Macht nie über die Wahrheit bestimmen“, erklärte Věra Jourová bei der Vorstellung der Richtlinie.
Demnach sollen Gerichte offensichtlich unbegründete Klagen frühzeitig einstellen können. Die Kosten für das Verfahren würden dann die Kläger*innen tragen. Diese könnten zusätzlich sanktioniert und Betroffene entschädigt werden. Zudem könnten Urteile aus Ländern außerhalb der EU abgewiesen werden. Der Entwurf enthält damit die wichtigsten Schutzmaßnahmen, für die sich die Anti-SLAPP-Koalition eingesetzt hat. Allerdings gilt die vorgeschlagene Richtlinie nur für zivilrechtliche und grenzüberschreitende Fälle.
Daher sei es „unerlässlich, dass die Mitgliedstaaten dieselben Verfahrensgarantien auf nationale Fälle anwenden“, erklärte Julie Majerczak. Dazu gab die Kommission auch eine zusätzliche Empfehlung ab und forderte die Staaten auf, Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen zu ergreifen. Zudem sollen diese ab 2023 jährlich Daten über SLAPP-Fälle an die Kommission übermitteln. Bisher ist das tatsächliche Ausmaß in Europa nicht bekannt.
Monique Hofmann, Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, sieht SLAPPs inzwischen auch in Deutschland als „eine reale Gefahr für die Pressefreiheit.“ 2020 traf sie die Abmahn- und Klagepraxis der Hohenzollern wegen dem Satz, der Prinz von Preußen habe sich als „besonders klagefreudig erwiesen, was die wissenschaftliche und mediale Aufarbeitung der Geschichte seiner Familie angeht“. Erst im Berufungsverfahren ein Jahr später konnten sie die Klage erfolgreich abwehren. Gemeinsam mit weiteren Organisationen, die alle bereits mit SLAPPs konfrontiert waren, wie das Umweltinstitut München, Rettet den Regenwald und FragDenStaat, setzt sich die dju für ein deutsches Anti-SLAPP-Gesetz ein.
Der Konzern RWE, der regelmäßig gegen Aktivist*innen mit Unterlassungserklärungen und Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe vorgeht, schaffte es sogar unter die Nominierten im ersten Europäischen SLAPP-Wettbewerb 2021. Initiiert von CASE, werden bei dem Wettbewerb insgesamt fünf Preise vergeben, unter anderem an Unternehmen, Politiker*innen und Anwält*innen. Der Negativpreis soll dazu beitragen, diejenigen zu identifizieren und an den Pranger zu stellen, die SLAPPs ermöglichen, denn dazu brauche es ein ganzes System, so Flutura Kusari. Die Juristin leitet das Legal Support Programme des ECPMF, das Medienschaffende bei SLAPP-Angriffen hilft.
Ein System, an dem die EU durch jahrelanges Zuschauen mitschuldig ist, wie Barbara Wessel, DW-Korrespondentin in Brüssel, kritisch anmerkt. Da wo die Politik den Rechtsstaat ausgehöhlt hat, Korruption oder das organisierte Verbrechen herrsche, seien institutionelle Anlaufstellen für bedrohte Reporter*innen sinnlos, weil sie den eigenen Behörden nicht trauen können. „Europa wird es schwer haben, die Fehler der Vergangenheit auch nur im Ansatz zu korrigieren“, urteilt Wessel.
Ob die Anti-SLAPP-Richtlinie etwas bewirkt, wird sich erst noch zeigen. Der Vorschlag muss vom Europäischen Parlament und Rat verhandelt und angenommen werden. Die Umsetzung hängt vom politischen Willen der Länder ab, weiß auch EU-Kommissarin Věra Jourová. Die Arbeit beginne erst jetzt. Es sei daher nötig, dass CASE und andere ihr Engagement fortsetzen und weiter Druck machen.