Klima- und Geschlechtergerechtigkeit zusammendenken!
von Isolde Aigner
(aus WIR FRAUEN Heft 1/2022: Klimagerechtigkeit)
„Zugunsten unseres Wirtschaftswachstums bedienen wir uns an natürlichen Ressourcen auf Kosten von Artenvielfalt und einer gesunden, sich selbst regenerierenden Umwelt. Genauso nutzen wir die Arbeitskraft von Kindern, Frauen* und anderen sozial benachteiligten Menschen in wirtschaftlich schwachen Regionen auf Kosten ihrer Gesundheit, Rechte und Lebensgrundlagen“. Die Klimakrise gehe außerdem auch mit einer Geschlechterkrise einher, so Julika Zimmermann von der ökofeministischen Initiative Woman Engage for a Common Future. Denn der Klimawandel betrifft insbesondere Frauen und ihre Lebenslagen: So sind es im globalen Süden die Frauen, die für die Wasser- und Energieversorgung (zum Heizen, Kochen, Waschen) zuständig und dabei auf holzbasierte Heizmaterialen und sauberes Wasser angewiesen sind.
Darüber hinaus haben sie weniger Möglichkeiten, sich vor Naturkatastrophen zu schützen. Auch Klimapolitik wird bestimmt von männlich dominierten Macht- und Herrschaftsverhältnissen, z.B. wenn es um Mobilität geht: Wenn Verkehrspolitik von einem androzentrischen, also männerzentrierten Bild von Modernität und Wachstum bestimmt wird, kann eine Politik, die lebensweltliche, selbstbestimmte Mobilitätsbedürfnissen aller in den Blick nimmt, kaum durchgesetzt werden, erklärt u.a. Gotelind Alber, Mitgründerin von Nichtregierungsorganisation GenderCC – Women for Climate Justice e.V.
Vom Globalen Süden bis zur eigenen Haustür: Klimakrise ist überall
Ausbeutung und Umweltzerstörung machen auch vor der eigenen Haustür nicht Halt. Auch hierzulande verteidigen staatliche Akteure oder Konzerne wie RWE mit aller Macht und Repression z.B. den Braunkohletagebau Garzweiler II. Weitere Dörfer in der Nähe von Erkelenz sollen abgerissen werden, um dort Kohle für die Stromversorgung in Deutschland zu gewinnen.
Doch es gibt Widerstand. Die Proteste konzentrieren sich vor allem auf den kleinen Ort Lützerath, den RWE bis 2022 abreißen will. Für Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Carola Rackete hängt hier das Lokale unmittelbar mit dem Globalen zusammen: „Die Grenze für die Einhaltung der Klimaziele liegt also unter unseren Füßen, unter diesem Dorf.“
Wachstum steigern und Klima retten?!
Während sich die Klimakrise auf der einen Seite immer weiter verschärft, wachsen auf der anderen Seite Umwelt- und Klimabewusstsein. Nachhaltiges Verbraucherverhalten, das Umweltaspekte und soziale Aspekte bei Kauf und Nutzung von Produkten und Dienstleistungen berücksichtigt, gewinnt an Bedeutung. Es sind vor allem junge Frauen, die auf nachhaltige, fair produzierte oder tierversuchsfreie Produkte setzen (z.B. Kleidung, Kosmetika).
Nachhaltiger Konsum mag eine positive Entwicklung in Sachen Klimapolitik darstellen. Problematisch wird es, wenn nur noch das Individuum in die Verantwortung genommen wird, nicht aber Staat, Politik und Wirtschaft. Nachhaltiger Konsum ist mitunter auch eine Frage des Geldes. So kommentiert die Journalistin Hengameh Yaghoobifarah die Kritik am Black Friday: „Für Leute mit weniger Geld sind Aktionen wie der Black Friday eine Gelegenheit, sich etwas leisten zu können“, während „hinter der moralischen Verdammung des Black-Friday-Konsums […] häufig Klassenhass, mindestens jedoch peinlich verkürzte Konsum- und Kapitalismuskritik“ stecken.
Selbst Großkonzerne mit der schlechtesten Ökobilanz springen auf den Zug auf und setzen auf vegane oder ökologische Produkte und recycelbare Verpackungen. Sie versuchen sich im „Greenwashing“, wollen Konsument*innen also glauben lassen, nachhaltig zu handeln, um neue Konsument*innen zu gewinnen und ihre Gewinne zu steigern.
Auch die Ampelkoalition der Bundesregierung hat sich zum Ziel gemacht, Klima- und Wirtschaftspolitik zu „versöhnen“. „Ökophilosoph“ Robert Habeck (Die Grünen) ließ auf der Pressekonferenz zur Ampel verlauten: „Kern dieser Geschichte, die wir zusammen schreiben können, ist die Vereinbarkeit von Wohlstand und Klimaschutz. […] dass Gegensätze sich ergänzen und überwunden werden können“. Diese Einladung zur Versöhnung täuscht darüber hinweg, dass Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum (unter den neoliberalen Vorzeichen einer FDP als Koalitionspartner) ohne die Ausbeutung natürlicher Ressourcen nicht auskommen werden. Gleichzeitig kann Habecks Rede als Versuch verstanden werden, Systemkritik einzuhegen, bzw. auszuhebeln.
Klimagerechtigkeit feministisch weiterdenken!
Wie kann eine klima- und zugleich geschlechtergerechte, feministische Politik aussehen? Gotelind Alber und ihre Mitautor*innen verweisen in „Geschlechtergerechtigkeit und Klimapolitik“ (APuZ, Nr. 21–23/2018) auf den Bedarf an klimapolitischen Konzepten, die soziale Dimensionen mitdenken, was sie am Beispiel von Hitzeaktionsplänen veranschaulichen. Um die Bevölkerungsgruppen zu schützen, sollten neben Alter und Gesundheit auch soziale und genderspezifische Aspekte berücksichtigt werden. So gelten insbesondere ältere Frauen als Gruppe, die besonderen Schutz braucht, da sie vielfach alleinstehend sind, wenig Ansprache sowie eingeschränkte Möglichkeiten der sozialen Teilhabe haben.
Auch die Jugendbewegung Fridays For Future (FFF) steht für einen klima- und geschlechtergerechten Aufbruch. Es sind weltweit vor allem junge Frauen, die die Bewegung anführen, statt auf verkrustete, von Männern besetzte Parteienstrukturen zu setzen. Die FFF-Aktivistin Vanessa Nakate fordert, dass „weiße Menschen (auch innerhalb der Bewegung) aufhören sollten, die Stimmen der am meisten vom Klimawandel Bedrohten weiterhin auszublenden“. FFF setzt auf Systemkritik, schreckt nicht davor zurück, die Weltmächte gnadenlos zu entlarven und für eine andere Welt zu kämpfen, wie Greta Thunberg in ihrer Rede auf der Youth4Climate-Konferenz in Italien: „Grüne Wirtschaft. Bla, bla, bla. Netto-Null bis 2050. Bla, bla, bla. Netto-Null bla, bla, bla, klimaneutral bla, bla, bla. Wir dürfen nicht länger die Machthaber entscheiden lassen, was politisch möglich ist und was nicht. Hoffnung ist nicht passiv, Hoffnung ist kein bla, bla, bla. Die Hoffnung sagt die Wahrheit, die Hoffnung handelt, und die Hoffnung kommt immer von den Menschen!“
In diesem Heft
Annegret Kunde widmet sich der Mitwirkung von Frauen im Rahmen der UN-Klimakonferenzen und ihren Forderungen nach einem stärkeren Einbezug bei den Klimaverhandlungen. Camila Nobrega und Joana Varon hinterfragen, wer überhaupt Raum hat, um zu reden, Lösungen zu finden und auf Risiken hinzuweisen. Sie widmen sich der Erzählung von einer „grünen“ Wirtschaft und werfen einen dekolonialen analytischen Blick auf das Versprechen, Technologien wie künstliche Intelligenz würden all unsere Probleme lösen. Annegret Kunde stellt Aktivistinnen vor, die im globalen Norden zu wenig Gehör finden. Christiana Puschak schreibt über die Psychologist For Future – ein Zusammenschluss von Psycholog*innen, die Klimaaktivist*innen ehrenamtlich Unterstützung anbieten. Sigrun Matthiesen führt vor, wie es einer ergeht, die versucht, dem moralischen und vor allem an Frauen gerichteten Anspruch gerecht zu werden, allein und im Kleinen globale Probleme zu lösen. Zum Schluss stellt Tina Berntsen die Kampagne „Thriving Peoples. Thriving Places“ von Amplifier und Nia Tero vor. Im Mittelpunkt der Kunstaktion stehen neun indigene Frauen, die sich für Klimagerechtigkeit und die Rechte indigener Völker einsetzen. Mit freundlicher Erlaubnis von Amplifier illustrieren die Kunstwerke, gestaltet von Tracie Ching, den Schwerpunkt dieser Ausgabe.