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Herbst 3/2024

Home-Office: Falle oder Sehnsuchtsort?

von Pamela Strutz

(aus WIR FRAUEN Heft 3/2020, Schwerpunkt: Hexenglaube)

Vor Kurzem las ich auf Facebook einen Satz, der sich auf einen Artikel zu Wiederkehr traditioneller Rollenmuster in der Corona-Krise bezog: „Wir sind plötzlich nicht wieder in den 50ern wie gerne behauptet wird.“ Dieser Satz stammte nicht von einem Journalisten aus eher konservativ geprägten traditionellen Print-Medien, sondern von einer meiner feministischen Freundinnen. Das überraschte mich, brachte mich zum Nachdenken.

Retraditionalisierung – ein Wort, in aller Munde, geistert durch die Medien und selbst Magazine wie brisant, das sich eigentlich eher mit den Eheproblemen internationaler Stars und Sternchen beschäftigt, brachte einen Bericht zur Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse. Sie, Betriebswirtin im Home-Office, kümmerte sich um den 2-Jährigen, der nicht in die Kita konnte, während er, Steuerberater und ebenfalls im Home-Office (!) am gemeinsamen Esstisch Mandanten beriet. Und schon wird deutlich: Nein, wir sind wirklich nicht wieder in den 50ern.

Frauen sind gut ausgebildet, besser als jemals zuvor. In den Studiengängen, die noch vor Jahren Männerdomäne waren, sind teilweise mehrheitlich Frauen vertreten. Und trotzdem: Die Lohnlücke klafft und verringert sich nicht oder kaum. Wie kann das sein? Wie kommt es, dass diese gut ausgebildeten, erfolgreichen Frauen dann doch die sind, die im gemeinsamen Home-Office auf der Decke sitzen und den Kindern Buch um Buch vorlesen? Die Pandemie hat vieles gezeigt und auch entlarvt. Das Home-Office zum Beispiel. Vor Corona ein Sehnsuchtsort vieler. Man spart sich Zeit, Arbeitswege, Staus auf vollgestopften Autobahnen zur Rush-Hour, Benzin oder den Ärger um die wieder mal verspätete Bahn. Arbeiten von Zuhause, das schien erstrebenswert. Es schien wie ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Vereinbarkeit von Familie, Beruf, Sport und anderen Freizeitaktivitäten, zudem auch gut für die Öko-Bilanz. Es knüpft an unsere Hoffnungen und unser Begehren nach weniger entfremdeter Arbeit und mehr Zeit und Selbstbestimmung an. Doch jetzt wird klar: Der Traum kann nicht wahr werden, bis Gleichberechtigung in der Arbeitswelt wirklich realisiert ist.

Wir sind noch weit davon entfernt, wirklich gleichberechtigt zu sein in dieser Arbeitswelt. Diese Arbeitswelt, in der aktuell die Pandemie die Prozesse der Digitalisierung immens beschleunigt. In den ersten zwei Wochen des Lockdowns waren Telefon- oder – wenn denn die Arbeitgeberin schon so weit war – Videokonferenzen zur vollen Stunde eine schlechte Idee. Völlig überfordert waren die Anbieter mit der plötzlichen Nachfrage und die Unternehmen und Dienststellen teilweise hin-ten an bei den technischen Voraussetzungen dafür. Inzwischen hat sich das normalisiert. Videokon-ferenzen sind zur Routine geworden und der Anblick des privaten Bücherregals im Hintergrund der Teilnehmer*innen ist manchmal interessanter als der Inhalt des Meetings selbst. Das Video eines Journalisten in einer Zoom-Konferenz ging viral, weil seine Kinder plötzlich unerwartet und sehr unterhaltsam durchs Bild liefen. Ich erwischte mich selbst dabei, dass ich es bemerkenswert fand, wie ein Kollege sehr gelassen sein Kind während einer Videokonferenz auf den Schoß nahm. Gleichzeitig berichtet eine Frau stolz, dass keiner ihrer Kollegen wisse, dass sie zwei Kinder habe. Zuhause wird sich dann im Arbeitszimmer abgeschottet, damit das Bild der kinderlosen Karrierefrau erhalten bleiben kann.

Nein, mit den 50ern, in denen Männer noch unbegründet die Arbeitsverträge ihrer Gattinnen kündigen durften, hat das wenig zu tun. Aber sind wir als Frauen wirklich heute so viel besser dran? Kochen, putzen, Kinder kriegen und versorgen, den Mann umsorgen, verwöhnen, zu ihm aufschauen – das bestimmte damals den Alltag vieler Frauen. Heute sind die Frauen gut ausgebildet und in der Regel berufstätig.

Und zuhause? Studien, Umfragen oder auch Gespräche mit Freundinnen legen nahe dass „kochen, putzen, Kinder versorgen“ nach Feierabend weiterhin überwiegend Aufgabe der Frauen ist. Kein Wunder, dass vor dem Hintergrund einer derartigen Doppelbelastung die Teilzeit- und Minijob-Quote bei ihnen hoch ist. Die Konsequenz: mehr (unbezahlte und nicht abgesicherte) Sorgearbeit, weniger Geld, weniger Macht. Ich möchte behaupten, dass die meisten Burn-Out-Syndrome bei Frauen vor allem aufgrund dieses Spagats entstehen und weniger, weil sie sich im Beruf kaputt arbeiten.

Das in der Pandemie ins Spiel gebrachte „Recht auf Home-Office“ sollte von uns als Feministinnen kritisch beäugt werden, denn es birgt die Gefahr, reaktionäre Wirkungen zu entfalten. Es könnte bedeuten, dass sich ganz schnell eine Entwicklung ähnlich wie die bei der Elternzeit zeigt. Regel-mäßig wird zwar medial verkündet, die Anzahl der Anträge auf Elterngeld sei auch bei Männern weiter steigend, verschwiegen wird aber, dass diese Anträge sich vor allem in ihrer Bezugsdauer unterscheiden.

Während Frauen im Durchschnitt 11 Monate Elterngeld beziehen, bleibt es bei den Männern bei zweien – die auch gerne „Vätermonate“ genannt werden. Eine ähnliche Entwicklung erwarte ich, wenn sich der aktuelle Arbeitsminister Hubertus Heil mit seiner Forderung nach einem Recht auf Home Office durchsetzt. Dann werden es vor allem Frauen sein, die diese Anträge stellen. Weil sie hoffen, so weniger in die Vereinbarkeits-Stress-Falle zu tappen. Kürzere Wege zur Kita, zur Schule der Kinder, Zeitersparnis durch gesparte Arbeitswege, entspanntes Arbeiten zuhause, zwischendurch ein Yoga-Workout oder ein kurzer Spaziergang, um den Kopf frei zu kriegen und danach noch effektiver weiterzuarbeiten. Und wenn das kranke Kind zuhause bleiben muss, liegt es doch nahe, dass die Frau zuhause bleibt. „Schatz, du bist doch eh zuhause“. Super, Papi, gleich noch ein Problem gelöst, kein Streit mehr darum, wer sich heute von der Arbeit entschuldigen muss. Und wer zuhause arbeitet, will dies auch an einem sauberen Tisch tun, in einer angenehmen Umgebung. Auch hier besteht dann die Gefahr, dass die Hausarbeit ins Unsichtbare – ja, vor allem für den Partner unsichtbar – rutscht, weil sie so nebenher im Home-Office erledigt wird.

Dagegen-Sein ist aber auch keine Alternative. Was also muss unsere Forderung als Feministinnen sein? Ein Recht auf Home-Office muss eingebettet sein in eine paritätische Elternzeit, paritätische Löhne und paritätisch besetzte Chefetagen. Wir brauchen Grundvoraussetzungen, unter denen auch im privaten Familienkonstrukt Entscheidungen frei und gleichberechtigt ausgehandelt werden können. Dazu gehören vor allem die Abschaffung des Ehegatten-Splittings und ein weniger rigides Arbeitszeitregiment, das den Bedürfnissen der Arbeitnehmer*innen Rechnung trägt. Dazu kann auch das Home-Office beitragen, wenn es denn von Männern ebenso genutzt wird und nie-mand Nachteile für die eigene berufliche Entwicklung befürchten muss.

Das Home-Office braucht zudem ein Recht auf Präsenztage, damit Frauen (und Männer) in Kontakt bleiben mit ihren Kolleg*innen, auch sozial eingebunden sind und teilhaben an kollektiven und gewerkschaftlichen Entwicklungen im Betrieb. Sonst entscheiden am Ende doch wieder die im Betrieb präsenten Männernetzwerke über Karrieren und beeinflussen maßgeblich die Entscheidungen. Sonst wird das Recht auf Home-Office am Ende doch nur zu einem gut gemeinten aber schlecht gemachten Werkzeug auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung in der Arbeitswelt.