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Winter 4/2024

Ein Knoten für Clara Zetkin? Notizen zu einer antikommunistischen Posse

von Florence Hervé

(aus WIR FRAUEN Heft 2/2023)

Zetkin hilft uns heute, „den Zusammenhang zwischen dem Kampf für den Sozialismus und den Kämpfen gegen Rassismus, für die Gleichstellung der Frau und den Frieden besser zu verstehen.“

Angela Davis

Seit Anfang des Jahres gibt es eine heiße Debatte um einen Straßennamen in Tübingen. Auf Empfehlung einer Historiker*innen-Kommission an den Gemeinderat der Stadt soll der Name Clara Zetkin mit einem Knoten versehen werden. Zetkin habe an Justizverbrechen mitgewirkt, ihre Argumentation sei totalitär. Sie sei „moralisch kritikwürdig“, das müsste gekennzeichnet sein. Damit gerät sie auch in die Nähe von Antisemit*innen, Nazis und Kolonialist*innen.

Prompt nach diesen Empfehlungen hagelte es Proteste. Das Aktionsbündnis „Kein Knoten für Clara Zetkin“ wurde gegründet. Es widerlegte die Behauptungen der Kommission, Clara Zetkin habe sich beim Prozess angeklagter „Sozialrevolutionäre“ 1922 für die Todesstrafe ausgesprochen und sei für eine Vorwegnahme der „stalinistischen Verfolgungspolitik“ verantwortlich. Vielmehr sei sie Vertreterin eines demokratischen Dialogs, für die Verständigung mit Andersdenkenden. Fazit: Die Kommission zu Zetkin habe „historisch und wissenschaftlich nicht korrekt gearbeitet“.

Das Clara-Zetkin-Haus Waldheim in Stuttgart warnte, die Stadt Tübingen würde sich mit einer solchen „Provinzposse“ international ins Abseits stellen, und forderte, das „unwürdige Spiel zu beenden“. Die IG Metall schloss sich der Kritik an. Die Clara Zetkin-Gedenkstätte in Birkenwerder erklärte: „Für das stalinistische Verfolgungs- und Gulagsystem ist (Zetkin) weder Wegbereiterin noch verantwortlich.“ Die LINKE verwies auf das zweierlei Maß, mit dem die Kommission urteilte. Wir Frauen ebenfalls. Während der Antifaschistin und international anerkannten feministischen Sozialistin ethische Verfehlung vorgeworfen wird, erhielten Männer wie der Judenfeind und Antidemokrat Bismarck keine Markierung.

Während Clara Zetkin 1932 als Alterspräsidentin im Reichstag vor der Entrechtung der Frauen im Faschismus warnte, erklärte Gertrud Bäumer noch im April 1933, es sei „vollkommen gleichgültig, wie der Staat beschaffen ist, in dem heute die Frage der Einbeziehung der Frauen besteht: ob es ein parlamentarischer, ein demokratischer, ein faschistischer Staat ist“. Bäumers Organisation, der Bund Deutscher Frauenvereine, plädierte zeitweise für die Zusammenarbeit mit Nazis. Bäumer einen Knoten zu geben, wurde nicht einmal angedacht.

Das Ganze nur eine Posse? Einerseits schon. Andererseits hat der Antikommunismus in Deutschland Kontinuität. In Tübingen manifestiere sich das „Totalitarismus-Gespenst“ in einem Knoten, schrieb die Kontext-Wochenzeitung (Beilage der taz). Bereits 1994 gab es dort die peinliche Umbenennung der Berliner Clara-Zetkin-Straße zugunsten einer Kurfürstin, trotz internationaler Proteste – Zetkin sei Anhängerin einer kommunistischen Parteidiktatur gewesen.

Wie weiter in Tübingen? Sophie Voigtmann, Sprecherin des Aktionsbündnisses, verweist auf das bereits Erreichte – u.a. das überregional mediale Aufgreifen des Themas – und auf die nächsten Aktivitäten: eine Unterschriftensammlung, um eine Anhörung im Gemeinderat zu erreichen. Anlässlich des 90. Todestages Zetkins finden im Juni Veranstaltungen statt. Die Entscheidung über den Knoten soll im Herbst fallen. „Bis dahin werden wir nicht lockerlassen und dem Versuch, Zetkin zu diskreditieren, entschieden entgegentreten.“

Cartoon von Arno Neuber. Quelle

Weitere Infos: https://keinknoten.wordpress.com

Siehe auch: „Eine der Wagemutigen und Wegbereiterinnen“. Anmerkungen zu Clara Zetkins’ Rezeption am Rande ihres 165. Geburtstags, in: WIR FRAUEN 2/2022