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Herbst 3/2024

Warten auf die reproduktive Freiheit

Von Anna Schiff

Für die meisten heterosexuellen Frauen ist die Pille das (hormonelle) Verhütungsmittel der Wahl. Doch es zeigt sich mittlerweile ein deutlicher Gegentrend – vor allem in der jüngeren Generation.

DagiBee hat es getan. Ebenso Mrs. Bella und Ella TheBee – die erfolgreichen YouTuberinnen haben die Pille abgesetzt und darüber Videos auf ihren Kanälen veröffentlicht. Sie sprechen über Depressionen, Lustlosigkeit, Migräne… – all die Nebenwirkungen, die hormonelle Verhütung nach sich ziehen kann. Aber auch darüber, wie sie von ihren Gynäkolog*innen nicht ernst genommen wurden, wie sie dachten, es läge an ihnen, es sei sicher nur eingebildet… – all die Nebenwirkungen, die eine weibliche Sozialisation nach sich ziehen kann. Mit ihrer Kritik sind sie bei weitem nicht alleine. Längst ist die Kritik an der Pille zu einem Trendthema geworden – vor allem online. Die von den Millenials frequentierten online Magazine wie vice und bento haben das Thema längst aufgegriffen. Artikel wie „Die Antibabypille ist unzumutbar“ von Sabine Kray werden zigmal in den sozialen Medien geteilt. Stehen wir auf der Schwelle vor einer neuen sexuell-reproduktiven Revolution?

Viele der genannten YouTuberinnen sprechen zwar von den horrenden Gewinnen, die die Pharmaindustrie mit hormoneller Verhütung erwirtschaftet, aber keine lässt sich zu gesellschaftspolitischen Forderungen hinreißen. Zu Feminismus erst recht nicht. Die Pille zu nehmen oder nicht – eine ganz persönliche Entscheidung. So unpolitisch der Einsatz der Berufsbeautys daher kommt, so wenig sollte man das Potential dieser Stimmen unterschätzen. Katrin Wegener untersucht in ihrem Buch „Die Pille und ich“ den fundamentalen Wandel des Verhältnisses von Frauen zur Pille, der sich in den letzten Generationen vollzogen hat. Junge Frauen nehmen die Pille auch und vor allem für schönere Haare und Haut. „Die Pille ist multifunktional geworden: Sie dient als Verhütungsmittel und zugleich als Kosmetikum.“ Laut dem Pillenreport der Technikerkrankenkasse nahmen 2015 drei von vier 19-Jährigen die Pille. Von ihren Idolen, die ihnen sonst eher Kosmetika verkaufen, bekommen junge Frauen vielleicht zum ersten Mal den Gedanken in den Kopf gepflanzt, dass sie selbst Expertinnen für ihren eigenen Körper sein könnten. Wer weiß, welch feministische Blüten er treibt?

Die Anti-Baby-Pille gilt nach wie vor als das Symbol der sexuellen Revolution – wenn nicht gar als Startschuss für die Frauenbewegung. Endlich konnten heterosexuelle Frauen Sex haben, ohne Angst davor haben zu müssen, schwanger zu werden – so die gängige Erzählung. Der sogenannte „Pillen-Knick“ beweist recht deutlich, wie sehr sich Frauen danach gesehnt haben, alleine bestimmen zu dürfen, ob Kinder oder keine. Generationen von Frauen hatten einfach Kinder zu kriegen oder Abtreibungen in Hinterhöfen, bei denen sie hoffentlich nicht starben, zu erdulden. Unfreiwillige Mutterschaft gehörte für Generationen von Frauen dazu, wie das Amen in der Kirche. So verwundert es auch nicht, dass gerade die katholische Kirche bis heute Stellung gegen die Pille bezieht. Die Pille hat das Leben von Frauen nachhaltig zum Besseren verändert. Doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Denn es flogen nicht kleine Hormonbomben, weil Frauen endlich (reproduktiv) frei sein wollten, sondern die Tomate.

Die Autorin Sabine Kray schlägt in ihrem Buch “Freiheit von der Pille – eine Unabhängigkeitserklärung” die Brücke zwischen heterosexueller Verhütung und dem existierenden Geschlechterverhältnis. Und fragt darin auch, warum es die Pille für den Mann eigentlich nie auf den Markt geschafft hat. Vielleicht aus demselben Grund, weshalb das Kondom nicht das Symbol der (hetero-)sexuellen Revolution geworden ist – weil heterosexuelle Männern dann ebenfalls reproduktive Verantwortung hätten. Was mit einer bestimmten Form der Männlichkeit nicht vereinbar ist. In den USA – und mittlerweile auch bei uns – spricht man von „stealthing“ (stealth engl. für „Heimlichkeit“), wenn der heterosexuelle Mann heimlich das Kondom beim Geschlechtsverkehr abzieht. In der Schweiz gab es eine erste Verurteilung. Die amerikanische Juristin Alexandra Brodsky hat das Phänomen als erste wissenschaftlich untersucht. In ihrer Studie beschreibt sie, wie sich Männer in Internet-Foren gegenseitig Tipps geben. Doch nicht irgendwelche Männer in irgendwelchen Foren, sondern in den Ecken des Internets, wo eine aggressive rückwärtsgewandte Utopie des Patriarchats herrscht. Und wie besser die eigene fragile Männlichkeit beweisen als Frauen abzuwerten? „Pick-Up-Artists“ nennen sich die digitalen Machos, die anderen Möchtegern-Mackern beibringen, mit welchen Tricks man Frauen ins Bett bekommt, um sie hinterher dafür zu verachten, dass man sie ins Bett bekommen hat. In dieser Szene wird auch das „stealthing“ gefeiert. Es ist diese Art von toxischer, zerstörerischer Männlichkeit und Frauenhass, gegen die Autoren wie der Brite Jack Urwin in seinem Buch „Boys don’t cry“ anschreiben.

„Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache“, hieß es in der Urteilsverkündung gegen die Gynäkologin Kristina Hänel. Auf ihrer Webseite hatte sie über Schwangerschaftsabbrüche informiert und sich damit strafbar gemacht.

„Ein Rezept brauchen sie ja keines mehr. Aber da kriegen die schon was von mir zu hören. Keine 18 und schon nach der Pille danach rufen! Die nehmen die wie Smarties, sag ich dir. Dortmund-Nordstadt – sagt doch alles.“

Den anfangs so netten, weißen, heterosexuellen Apotheker hatte ich beim Online-Dating kennen gelernt.

Es wird nichts werden aus uns.

Zur reproduktiven Freiheit ist es noch ein langer Weg.