Gisela Notz: Kritik des Familismus – Geschichte, Theorie und Realität eines ideologischen Gemäldes
Familismus bezeichnet die weitgehende Identität von Familie und Gesellschaft. Danach bildet das System aller Familien das Gemeinwesen. Selbst in das (aus frauenpolitischer Sicht) fortschrittliche BRD-Grundgesetz wurde 1949 die Auffassung von der Familie als wichtigstem Baustein einer Gesellschaft eingeschrieben und somit eine konservative Familienideologie zementiert, die Frauen und Männern eindeutige Rollen zuwies und die bis heute wirkt. Erst die neue Frauenbewegung entwickelte Gegenkonzepte, die heute allerdings zu verblassen scheinen. Staatliche Familienpolitik fördert nach wie vor die traditionelle „normalbesetzte“ Kleinfamilie, mit Vater, Mutter und Kind(ern). Die soziale Realität hat sich längst von diesem ideologischen Gemälde entfernt. Im Vortrag geht es um eine historische Rekonstruktion exemplarischer Theorien und Praxen, die zu jenem ideologisierten Familienverständnis führen, das auf das „Gemeinwohl“ abzielt, faktisch aber alle Menschen ausschließt, die nicht zu einer Familie gehören. Am Ende steht die Frage, ob es sinnvoll ist, dieses kritikwürdige System auszuweiten, indem neue Zusammenlebensformen durch vom Staat verordnete Gesetze „normalisiert“ werden.
Dr. Gisela Notz ist Sozialwissenschaftlerin Historikerin und Autorin. Bis Mai 2007 war sie wissenschaftliche Referentin im Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ihre Arbeitsschwerpunkte: Arbeitsmarkt-, Familien- und Sozialpolitik, Alternative Ökonomie, historische Frauenforschung. Seit 15 Jahren bringt sie den historischen Wandkalender „Wegbereiterinnen“ heraus. Zum Thema hat sie das Buch „Kritik des Familismus. Theorie und soziale Realität eines ideologischen Gemäldes“ geschrieben. Gisela Notz war von 2004 bis 2010 Bundesvorsitzende von pro familia. Sie ist im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs).