Staatenlos ohne Rechte
von Gabriele Bischoff
Über das Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts wurde in 2023 viel diskutiert. Nun tritt es in wesentlichen Teilen am 26. Juni 2024 in Kraft.
Für die Einbürgerung in Deutschland müssen sich Menschen, wie auch bisher schon, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Neu ist ein Bekenntnis zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens sowie zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Verbot der Führung eines Angriffskrieges.
Sogar die Integrationsbeauftrage der Bundesregierung Reem Alabali-Radovan (SPD) sagte zur Reform, die Voraussetzungen, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, blieben weiterhin sehr hoch.
Nichts ändern wird sich in Deutschland für die Menschen, die von keinem Staat als zu ihrem Staatsgebilde angehörig anerkannt werden. Weltweit sind ca. 15 Millionen von Staatenlosigkeit betroffen.
Ohne wirksame Nationalität fehlt ihnen der Zugang zu grundlegenden Menschenrechten wie Bildung, Gesundheitsversorgung oder Wohnraum. Dies gilt selbst für Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind.
Staatenlos ist, wer keine Staatsangehörigkeit eines Landes hat. Dem Ausländerzentralregister zufolge leben in Deutschland etwa 124.500 Personen ohne Staatsangehörigkeit (Stand Ende Februar 2023). Davon sind rund 29.500 „anerkannt Staatenlose“ und rund 95.000 haben eine „ungeklärte Staatsangehörigkeit“. Auch hierzulande sind Behörden angehalten, Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit unter bestimmten Voraussetzungen als Staatenlose anzusehen.
Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Menschen „staatenlos“ sind.
Manche Länder schließen bestimmte Gruppen von der Staatsbürgerschaft gezielt aus. So hat es etwa Myanmar mit der muslimischen Minderheit der Rohingya in den 1990er Jahren gemacht. In Deutschland wurden im Zweiten Weltkrieg jüdische Menschen ebenso wie Sinti und Roma ausgebürgert. Dann gibt es den Fall, dass Staaten sich auflösen und Einwohner*innen nicht automatisch die Staatsbürgerschaft der Nachfolgestaaten bekommen, wie es in Teilen der Sowjetunion oder in Somalia geschah. Oder Menschen kommen aus Gebieten, die international nicht als Staat anerkannt sind, wie Palästina oder Westsahara.
In einigen Staaten gibt es immer noch diskriminierende Gesetze, nach denen Frauen ihre Staatsbürgerschaft nicht einfach weitergeben können. So kann ein Kind staatenlos werden, wenn der Erzeuger unbekannt ist oder sich nicht zur Vaterschaft bekennt. Nach dem syrischen Gesetz können zum Beispiel Mütter ihre Staatsangehörigkeit nur weitergeben, wenn das Kind auf syrischem Territorium geboren wurde. In Staaten mit fehlerhafter Geburtenregistrierung wiederum werden Kindern manchmal keine Papiere ausgestellt.
Migrantische und rassismuskritische Interessenvertretungen und Selbstorganisationen wie Statefree und das Bündnis Pass(t) uns allen kämpfen zum Teil seit Jahrzehnten für ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht. Zur schon lange anstehenden Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes war es vergeblich: Trotz anderslautender Beteuerungen werden im Gesetz Staatenlose und langjährig Geduldete mit ihren Kindern nach wie vor nicht berücksichtigt. Außerdem bleiben vom Einbürgerungsanspruch weiterhin Menschen, die nicht Vollzeit arbeiten (können) und ergänzende staatliche Leistungen benötigen, ausgeschlossen. Darunter fallen unter anderem Alleinerziehende und ihre Kinder, Rentner*innen, Menschen mit Behinderungen und ihre pflegenden Angehörigen sowie Studierende und Auszubildende.
Ausgeschlossen von der Einbürgerung bleiben Menschen, der*die „antisemitisch, rassistisch, fremdenfeindlich oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen“ verantwortet oder „durch sein Verhalten zeigt, dass er die im Grundgesetz festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau missachtet“.
Migrantische Selbstorganisationen beanstanden die Doppelmoral hinter solchen Kriterien, die letztendlich von Sachbearbeiter*innen entschieden werden: „Es gibt bereits Gesetze, die solches Verhalten ahnden. Nach dieser Logik müssten Personen wie Höcke, Lindemann und Co. so schnell wie möglich ausgebürgert werden!“, heißt es in der Petition „Pass(t) uns allen – Kampagne für ein gerechtes Staatsbürgerschafts-, Einbürgerungs- und Wahlrecht“.
Deshalb fordert das Bündnis Pass(t) uns allen weiterhin:
- Die Abschaffung aller Einbürgerungshürden und das Recht auf unbürokratische Einbürgerung.
- Den automatischen Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit bei Geburt, unabhängig von Staatsangehörigkeit bzw. Aufenthaltsstatus der Eltern.
Das würde die Einbürgerungsbehörden massiv entlasten und zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen. Das Bündnis verweist auf das positive Beispiel von Millionen (Spät)aussiedler*innen, die in den 1990er Jahren unkompliziert eingebürgert wurden und seit 2000 bei ihrer Einreise automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten.
Darüber hinaus fordert das Bündnis das aktive und passive Wahlrecht auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sowie zum EU-Parlament für alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt seit mindestens drei Jahren in Deutschland haben.
Auch Christiana Bukalo, Co-Gründerin der Plattform Statefree, ist staatenlos. Die gebürtige Münchnerin besitzt weder Staatsbürgerschaft noch Wahlrecht. Staatenlose dürfen darüber hinaus nicht im öffentlichen Dienst arbeiten. Sie können oft nicht reisen oder haben keinen Anspruch auf Leistungen wie Kindergeld. Die Vielzahl an Hürden führt häufig zu einem sehr marginalisierten Leben.
In einem 2022 veröffentlichten Interview sagte Bukalo:
„Bei mir löste die Staatenlosigkeit vor allem ein Gefühl von Unsicherheit aus. Nie sicher zu sein, welche Rechte ich habe und wer diese im Zweifel vertritt, lässt das eigene Leben instabil erscheinen. Deshalb möchte ich für Staatenlose endlich einen Zugang zu Grundrechten schaffen und damit auch ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit erreichen.“
Staatenlosigkeit ist ein fast unsichtbares Problem, so Christiana Bukalo, das nur durch politische Veränderung gelöst werden kann:
„Der Wissensstand ist relativ gering, das Thema findet kaum auf der politischen Agenda statt. Um einen Missstand zu lösen, muss man wissen, dass er existiert. Wir werden also viel politische Aufklärungsarbeit leisten, um uns gemeinsam mit Entscheidungsträger*innen in der Politik der Komplexität des Themas zu widmen.“
Im Alltag von Bukalo ist Staatenlosigkeit sehr präsent. Sie hat Schwierigkeiten, ihre Identität bei der Eröffnung eines Bankkontos oder Beantragung einer Kreditkarte nachzuweisen. Ohne Geburtsurkunde könnte es für sie zum Beispiel schwierig werden, zu heiraten. Dasselbe gilt fürs Reisen: Für die meisten Länder benötigt mensch ein Visum. Das können Staatenlose nicht ohne Weiteres beantragen. Doch:
„Der größte Einschnitt ist letztendlich, dass ich als staatenloser Mensch nicht wählen darf. Während 100 Prozent der politischen Entscheidungen Einfluss auf mich und mein Leben haben, habe ich keinerlei Einfluss darauf, von wem diese Entscheidungen getroffen werden.“
Mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht wurde die Chance vertan, dass Menschen wie Christiana Bukalo, die in Deutschland geboren wurden oder bereits lange hier leben, endlich ganzheitlich Teil der Gesellschaft werden können.
Der Artikel wurde unter Verwendung von Informationen von Pass(t) uns allen, Statefree und JoinPolitics erstellt.
https://passtunsallen.de
https://statefree.world
https://www.joinpolitics.org/steckbriefe/christiana-bukalo