Spielen
von Melanie Stitz
Spiel ist eine Tätigkeit, die zum Vergnügen, zur Entspannung, allein aus Freude an ihrer Ausübung ausgeübt wird, heißt es bei wikipedia. In einer Welt, in der nichts und niemand „Zweck an sich“ sein darf, sondern stets nützlich, wäre Spielen demnach eine Art „guilty pleasure“ oder „sündiger Genuss“. Aber ist Spielen tatsächlich zweckfrei?
Mit gegendertem Spielzeug werden Kindern noch immer Rollenerwartungen nahegelegt. Spielen ist – auch und erst recht in späteren Jahren – oftmals Training. Gamification, die Übertragung von spielerischen Elementen in andere Kontexte: Mit Rätseln, Erfahrungspunkten, Levelaufstiegen, Trophäen zum Beispiel sollen Kund*innen, Schüler*innen und Mitarbeiter*innen angeregt werden, „bei der Stange zu bleiben“. Soweit zum Thema Nutzlosigkeit. Ausgenommen vielleicht „Malefiz“ oder „Therapie“, wagen wir zu behaupten: Spielen mit anderen, das verbindet.
Davon könnten die Suffragetten erzählen, die nicht nur handgreiflich das Frauenwahlrecht erkämpften, sondern auch Spiele erfanden. „Suffragetto“ zum Beispiel: Die Polizei verfrachtet die Suffragetten ins Gefängnis und die Suffragetten schicken die Polizisten ins Krankenhaus. Wie im richtigen Leben braucht es die Zusammenarbeit vieler Spielfiguren, um wenigstens einige von ihnen ins Ziel zu bekommen. Eine Vorstellung, die uns gefällt: dass die Kämpferinnen fürs Frauenwahlrecht beisammensaßen als Freundinnen, eine Idee aufnahmen und immer weiterentwickelten und womöglich Tränen lachten dabei.
In der Regel braucht es Regeln beim Spielen. Und gerecht muss es zugehen, mit der richtigen Mischung aus Können und Glück. Die Startbedingungen müssen also gleich sein für alle. Spätestens hier wird es politisch: Was ist, wenn ich nie gelernt habe, zu spielen? Was ist, wenn ich mir den Einsatz nicht leisten kann oder die Regeln nicht kenne? Was, wenn mir das Spiel nicht gefällt? Was blüht mir, wenn ich Spielverderberin bin?
Feminist*innen kennen Fragen wie diese nur allzu gut. Und auch die Erfahrung, nicht mitspielen zu dürfen. Ob Fahrradfahren, Rudern oder Ballsport: Wirklich nichts wurde Frauen geschenkt, wirklich alles haben sie sich erkämpft.
Zu erinnern sind alle, die sich damals wie heute auf Spielfelder und Tribünen „geschummelt“, das Recht aufs Mitspielen erstritten oder erstmals gewagt haben, öffentlich eine Meinung zum Spielgeschehen zu äußern. Die reaktionären Reaktionen auf Sabine Töpperwien, die als erste Frau 1989 eine Fußballübertragung kommentierte, reichten damals von Schnappatmung bis Schaum vorm Mund.
Begründet wurde der Ausschluss von Frauen selbstverständlich vernünftig und streng wissenschaftlich, bevorzugt mit der Verfasstheit weiblicher Geschlechtsorgane, bis hin zu jener lästigen Neigung der Gebärmutter, durch den Körper zu wandern, wenn Frauen sich unschicklich bewegen oder Naturwissenschaften studieren.
Aber Spaß beiseite. Bei den Olympischen Sommerspielen 1992 in Barcelona gewann Zhang Shan aus China als erste Frau die Goldmedaille im Skeetschießen (Wurfscheibenschießen) – eine Disziplin, in der seit ihrer Einführung 1968 Frauen und Männer gemeinsam antraten. Eine Frau gewann im gemischten Wettbewerb – das sollte sich auf keinen Fall wiederholen! Kurzerhand schloss der Internationale Schießsportverband Frauen von den Spielen 1996 in Atlanta aus. Im Jahr 2000, der Schock hatte sich etwas gelegt, ließ das Internationale Olympische Komitee in Sydney Frauen beim Skeetschießen wieder zu – sicherheitshalber aber im von Männern getrennten Wettbewerb.
Gerechtigkeit ist eine zentrale Kategorie, vor allem, wenn es um Wettkämpfe geht. Befeuert wird die Debatte im Sport vor allem durch trans Sportlerinnen. Aber was ist dran an dem Wettbewerbsvorteil Testosteron?
„Körpergröße, Wohlstand der Eltern, Herkunftsland, Sporttradition und Infrastruktur vor Ort, Gewicht, Körperfettanteile sind alles nachweisliche Vorteilsfaktoren. Die, die heute klagen, keine gleiche Chance gegen eine inter oder trans Athletin zu haben, stehen auch deshalb oben, weil sie einst das kleine, dicke Kind aus dem prekären Viertel mühelos hinter sich ließen. Dafür wurden sie gefeiert. Die Startlinie ist nie gleich, sie ist eine kollektive Inszenierung“, so Alina Schwermer, Autorin des Buchs „Futopia – Ideen für eine bessere Fußballwelt“. Gerechtigkeit sei eh eine kapitalistische Illusion, allenfalls Annäherung sei möglich und ein Vorbild dafür der Behindertensport: „Niemand käme auf die Idee, einen Menschen mit Unterschenkelprothese gegen einen Rollstuhlfahrer sprinten zu lassen. Im Laufwettbewerb könnten Testosteronwerte eine kluge Einteilung sein, die nicht ständig Geschlecht reproduziert und Schwächere schützt. Im Basketball könnte der Korb je nach Durchschnittsgröße des Teams aufgehängt sein. Und auf Basis von Körperfettanteilen oder Gewicht kann es einen echten Plus-Size-Sport an der Spitze geben.“1
Sport als Moment persönlicher und kollektiver Ermächtigung – darum geht es auch bei Initiativen wie Seitenwechsel e.V., einem Sportverein für Frauen/Lesben, Trans*, Inter* und Mädchen, oder auch bei den Boxgirls Berlin e.V., die sich zum Ziel gesetzt haben, sportliches und gesellschaftliches Engagements von Mädchen*, jungen Frauen* und Queers* zu stärken. Partnerorganisationen sind Boxgirls Kenya, Boxgirls Südafrika und Boxgirls international. „Coach don‘t touch me!” („Fass mich nicht an, Trainer!”) ist der Titel einer Kampagne Hamburger Boxerinnen gegen sexualisierte Gewalt im Sport.
In dieser Ausgabe
In dieser Ausgabe erzählt Anni Steiner unglaubliche Geschichten von Frauen im Sport, die sich mit Mut und List über Verbote hinwegsetzten. Anna Conrads nimmt die Debatten um trans Sportlerinnen zum Anlass, um Vorstellungen von Leistung und Gleichheit zu hinterfragen. Klara Schneider hat für Wir Frauen ein Interview mit Sophia Henning geführt – sie ist Mitgründer*in des Vereins Game:in, der sich gegen Sexismus in der deutschen Gamesbranche einsetzt. Über Spielsucht von Frauen schreibt Christiana Puschak, und Tina Berntsen hat einen gemeinsamen Spieleabend dokumentiert. Viel Spaß hatten wir mit Früchtepunsch und Keksen beim mehrgenerationellen Test-Zocken, von Bingo bis Escape-Room auf Feministisch. Das Genre Fantasy-Rollenspiel eignen wir uns ein anderes Mal an. Welche das Thema vermisst, der sei der Essayband „Roll Inclusive – Diversity und Repräsentation im Rollenspiel“, herausgegeben von Aşkın-Hayat Doğan, Frank Reiss und Judith Vogt ans Herz gelegt.
- Alina Schwermer: Das Märchen von der Gerechtigkeit, taz 26.4.2022. ↩︎