Logo
Winter 4/2024

Projektionen auf Frauen

Das Beispiel Elisabeth von Thüringen

Die heilige Elisabeth von Thüringen ist eine der wenigen mittelalterlichen Frauen, die auch NichthistorikerInnen ein Begriff ist. Heute wird sie einerseits als eine Art Rebellin rezipiert, eine mutige Frau, die sich den (patriarchalischen) Konventionen ihrer Zeit verweigerte. Andererseits wird sie, vor allem in christlichen Kontexten, als eine vermeintlich ideale weibliche Heilige wahrgenommen – aufopfernd, leidend, mütterlich. Beide Deutungen übersehen, dass dieses Bild oder vielmehr der Entwurf dieser Heiligen konstruiert wurde, und zwar nicht von ihr selbst.

Die wahrscheinlich 1207 geborene Tochter der Gertrud von Andechs-Maranier und ihres Ehemanns, des ungarischen Königs Andreas II., wurde – für ihre Zeit üblich – mit 4 Jahren mit Ludwig IV. verlobt, dem ältesten Sohn des Fürsten Hermanns I. von Thüringen. Sie wurde am thüringischen Hof, einem kulturellen Zentrum dieser Zeit, standesgemäß erzogen, also auf ihre Rolle als Fürstin und Ehefrau vorbereitet. Bereits während ihrer Ehe fiel Elisabeth als besonders fromm auf und wandte sich den religiösen Idealen der sog. Armutsbewegung zu. Diese Bewegung hatte sich Ende des 12. Jahrhunderts in Europa ausgebreitet und vertrat apostolische Ideale wie Armut und Keuschheit. Elisabeth legte dem Kreuzzugsprediger Konrad von Marburg, ihrem Beichtvater, ein Gehorsamkeitsgelübde ab. Im Gegensatz zu vielen anderen Fürstinnen dieser Zeit blieb sie dem politischen Parkett fern und übernahm nach dem Tod ihres Mannes nicht die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn. Nach Erbschaftsstreitigkeiten verließ sie den Familiensitz, die Wartburg. Ob sie von ihren Verwandten vertrieben wurde oder aus eigenem Antrieb ging, ist umstritten. In einem erneuten Gelübde entsagte Elisabeth der Welt vollständig und trennte sich von Familie und Kindern, gründete ein Spital in Marburg und versorgte dort Arme und Kranke. Dieses Verhalten widersprach fundamental den zeitgenössischen Vorstellungen über eine Fürstin, denn Arbeit, insbesondere körperliche, galt als unstandesgemäß. Ihr Wirken währte allerdings nicht sehr lange – sie starb mit gerade einmal 24 Jahren, vermutlich an Erschöpfung. Konrad von Marburg trieb ihre Heiligsprechung voran und 1235 wurde Elisabeth in Perugia von Papst Gregor IX. heilig gesprochen. Zu diesem Zeitpunkt wurde sie vom Volk schon längst als Heilige verehrt und es häuften sich die Wunderberichte.

Ohne Zweifel eine bemerkenswerte Frau. Allerdings stellt sich die Frage, wer die Deutungshoheit über Elisabeth hat. Bei einem näheren Blick in die Quellen zeigt sich schnell, dass nichts überliefert ist, was tatsächlich von ihr selbst stammt; weder Bücher, Briefe, Gebete noch Aufzeichnungen. Die wichtigste Quelle für Elisabeth von Thüringen ist daher ihre Biografie Vita Sancte Elysabeth Lantgravie von dem Dominikanermönch Dietrich von Apolda. Untersucht man dieses Werk, finden sich rasch die einzelnen Bausteine, die das heutige Elisabeth-Bild prägen. Allerdings ist es notwendig, diese Elemente im Kontext der Quellengattung zu sehen, um ein realistisches Bild der historischen Elisabeth und ihrer Zeit zu erhalten.

Im Mittelalter hatten Heilige einen unglaublich hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Sie waren Inspirationsquelle, Vorbilder, Nebengötter und Lebenshilfen zugleich. Ihr Leben sollte den „guten Christenmenschen“ dazu anhalten, es ihnen gleich oder zumindest ähnlich zu tun. Zur Verbreitung dieses idealen christlichen Lebensentwurfs, aber auch zur Steigerung des Ruhms der/des jeweiligen Lokalheiligen (Pilgerfahrten sind sozusagen die Vorläufer der Tourismusbranche), wurde eine Biografie, die sog. Vita, angefertigt. Dabei handelte es sich nicht um eine Biografie im modernen Sinn, sondern um eine Art Beweisführung, dass der oder die ProtagonistIn bestimmte Kriterien von Heiligkeit erfüllt, geschmückt mit Verweisen auf andere christliche Texte, Anspielungen auf andere Heilige und der immerwährenden Mahnung, es der/dem Heiligen gleichzutun. Aus einer Vita lassen sich also nur sehr bedingt Rückschlüsse über die real-historische Person schließen.

Berücksichtigt man diese Eigenarten der Quellengattung Heiligenbiografie, erscheinen die heutigen Elemente des Elisabeth-Bildes rasch in einem neuen Licht. Etwa die Deutung Elisabeths als Rebellin: Tatsächlich finden sich zahlreiche Stellen bei Dietrich von Apoldas, die betonen, dass eine Königstochter ihrem Dasein als Fürstin den Rücken kehrt, ganz gleich, was der Hof von ihr hält, und ihren (religiösen) Vorstellungen folgt. Das macht Elisabeth aber noch lange nicht zu einer Art Widerstandskämpferin. Die Adelige, die sich freiwillig in Armut begibt, ist ein Topos, der sich in zahlreichen anderen Heiligenbiografien finden lässt. Damit ist er auch Teil einer bestimmten Erwartungshaltung, die damals an eine Heilige gestellt wurde. Hinzu kommt, dass der Hof bzw. die höfische Lebensweise im Mittelalter (und danach) heftig von kirchlicher Seite kritisiert wurden. Im Zentrum dieser Kritik standen vor allem die Frauen, die als eitel und gefallsüchtig galten. Lehnt sich Elisabeth gegen den Hof und ihre Rolle als Fürstin auf, macht sie aus christlicher Sicht also alles richtig. Mit großem literarischen Geschick entwirft Dietrich Elisabeth als Gegenspielerin der anderen fürstlichen Frauen. Diese kümmern sich vor allem um den Glanz und Glamour am Hof. Elisabeth hingegen lehnt Eitelkeiten für sich ab, denn „sie verachtete jeden Prunk wie Unrat“ (S. 57). Die in der Biografie beschriebene Elisabeth ist damit eine Projektionsfläche für christliche Vorstellungen einer „guten Frau“. Zu dieser vorbildhaften Frau gehört auch ihre Rolle als Ehefrau und Mutter. Diese Elemente finden bis heute ihren Nachhall in der Elisabeth-Verehrung der katholischen Kirche.

Dietrich benutzt die Ehe als einen Grundpfeiler für Elisabeths Heiligkeit. Dazu lässt er sie als göttlichen Willen bzw. göttlichen Plan erscheinen und stellt ihr einen fast schon heiligen Gatten an die Seite. So werden Elisabeth und Ludwig zum heiligen Paar, das soll gezielt an Maria und Joseph erinnern. Gleichzeitig wird damit eine christliche Ehevorstellung propagiert. Im Mittelalter setzte sich die kirchliche Deutungshoheit über die Ehe nämlich erst allmählich und nach zähem Ringen durch. Die Maria ähnliche Elisabeth ist dann auch nicht nur die Mutter ihrer eigenen Kinder, sondern eine Mutter der Welt. Auch wenn sich nachweisen lässt, dass sich die wirkliche Elisa-beth um Arme und Kranke gekümmert hat, muss trotzdem bedacht werden, dass ihre Inszenierung als aufopferungsvolle Frau ein entscheidender Teil ihrer Heiligenkonstruktion war. In den Kapiteln über Elisabeth als Ehefrau zeigt sich auch rasch, dass hier eine aus christlicher Sicht vorbildhafte Ehefrau vorgeführt wird: Sie betet den ganzen Tag und hält sich nicht wie andere Fürstinnen mit Politik auf, sie ist keusch, gebiert aber trotzdem den wichtigen Stammhalter, und ihr Leben ist auf ihren Mann bezogen. Am deutlichsten zeigt sich das an der Wahl ihrer Kleidung: Als Heilige lehnt sie vermeintlich weibliche Eitelkeiten ab, aber für ihren Mann wirft sie sich in Schale, und zwar: „(n)icht um fleischlicher Lust willen oder aus Stolz, sondern gerade aus Liebe zu Christus schmücke ich meinen Körper mit solcher Zierde. Ich will Ludwig keinen Anlass zu Missfallen und zur Sünde geben“ (S. 59). Ob Elisabeth von Thüringen etwas Ähnliches gesagt hat, lässt sich nicht feststellen. Deutlich wird aber, dass hier eine Frau beschrieben wird, deren Leben um ihren Ehemann kreist und die ihre eigenen Überzeugungen zu seinem Wohle opfert – aus Sicht des christlichen Mittelalters die ideale Frau.

Elisabeth von Thüringen ist eine faszinierende Gestalt der Geschichte, aber hinterfragt man nicht, wie das Bild entstanden ist, das wir heute von ihr haben, bleibt sie die Projektionsfläche, zu der sie nach ihrem Tod gemacht wurde.

Anna Schiff