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Sommer 2/2024

Politische Gefangene und ihr Kampf für eine bessere Zukunft

von Annegret Kunde

(aus WIR FRAUEN Heft 4/2023)

Was tue ich für eine bessere Zukunft? Welches Risiko bin ich bereit einzugehen? Diese Fragen stellen sich Frauen, die gegen Unterdrückung protestieren, die für Rechte und Freiheiten kämpfen und das, obwohl Bestrafungen bis hin zum Tod drohen. Was treibt sie an?

v.l.n.r.: Rosa Luxemburg, Sophia Huang Xueqin und Narges Mohammadi

Rosa Luxemburgs Widerstandswille, Gerechtigkeitssinn und Kampf um politische Freiheit brachten sie immer wieder ins Gefängnis. Dort verfasste sie die berühmt gewordenen Briefe aus dem Gefängnis. Trotz ihrer schwierigen Lage sprach sie Freund*innen Mut zu und schöpfte immer wieder Hoffnung. So schrieb sie Weihnachten 1917 an Sonja Liebknecht:

„Da liege ich still, allein, gewickelt in diese vielfachen schwarzen Tücher der Finsternis, Langeweile, Unfreiheit des Winters – und dabei klopft mein Herz von einer unbegreiflichen, unbekannten inneren Freude […]. Und ich lächle im Dunkeln dem Leben, wie wenn ich irgendein zauberhaftes Geheimnis wüsste, das alles Böse und Traurige Lügen straft und in lauter Helligkeit und Glück wandelt. […] Ich glaube, das Geheimnis ist nichts anderes als das Leben selbst […]. So ist das Leben, und so muß man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd trotz allem.“

Zusammen mit Karl Liebknecht kämpfte sie für die freie sozialistische Republik und wurden dafür 1919 von rechtsextremen Freikorps ermordet.

24 Jahre später, in der letzten Nacht vor der Hinrichtung durch die Nazis, träumte die Widerstandskämpferin Sophie Scholl, dass sie ein Kind zur Taufe trägt, als sich plötzlich eine Gletscherspalte auftut. Bevor sie in die Tiefe stürzt, gelingt es ihr noch, das Kind sicher auf der anderen Seite abzulegen. Als Sophie Scholl ihrer Zellengenossin Else Gebel davon erzählte, sieht sie selbst in dem Kind „unsere Idee, sie wird sich trotz aller Hindernisse durchsetzen. Wir durften Wegbereiter sein, müssen aber zuvor sterben.“ Auf die Anklageschrift, die ihr am Tag zuvor ausgehändigt wurde und die Drohung der Todesstrafe enthielt, schrieb Scholl das Wort Freiheit.

Freiheit als Licht der Hoffnung gegen die Unterdrückung und Gewalt. Diese Idee treibt weltweit Menschen in den Widerstand. Dabei geht es um den Kampf gegen die eigene Ohnmacht angesichts von Willkür und Repression.

In ihrem Dokumentarfilm „Total Trust“ (Absolutes Vertrauen) über die Überwachung und Unterdrückung in China zeigt Filmemacherin Jialing Zhang auch das Schicksal der Journalistin Sophia Huang Xueqin. Sie war ab 2017 führend bei der Mobilisierung der MeToo-Bewegung gegen sexualisierte Gewalt an Frauen in China. Dafür wurde sie verhaftet, überwacht und mit einer Verleumdungskampagne überzogen. Sie entschied sich für ein Jurastudium, um ihren Kampf gegen sexualisierte Gewalt fortzusetzen. In einem Gespräch mit der Universität Michigan äußerte sie sich 2019:

„Wenn ich mich zu Wort melde, kann ich etwas bewirken, etwas verändern und allen eine Art von Macht geben, die besagt, dass wir etwas gemeinsam tun. […] Wenn man aktiv wird, kann man das Gefühl der Ohnmacht überwinden, deshalb werde ich weiterhin an Aktionen beteiligt sein“.

Als sie 2021 den nächsten Schritt für ihre eigene Zukunft mit einem Studienstipendium in England machen wollte, wurde sie verhaftet. Zwei Jahre später wurde sie in einem geheimen Prozess wegen „Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht“ angeklagt. Nach Angaben einer Unterstützergruppe erlitt Huang Xueqin da bereits mehrere Monate Einzelhaft.

Im Zuge der Proteste gegen den Diktator Alexander Lukaschenko in Belarus geriet vor allem das Frauentrio Swetlana Tichanowskaja, Weranika Zepkala und Maria Kolesnikowa ins Visier. Sie hatten Lukaschenko im Wahlkampf herausgefordert. Maria Kolesnikowa floh trotz großem Risiko nicht und wurde vom Geheimdienst festgesetzt.
Während der Untersuchungshaft 2021 schrieb Kolesnikowa, ihr fehle „alles: die Luft, die Sonne, meine Flöte, Briefe, Gespräche und eine Duschmöglichkeit. Aber wenn du weißt, warum du lebst, ist es egal, wie“. Die Frage der Deutschen Welle, ob sie bereue, nicht geflohen zu sein, verneint sie dies:

„Die Gefängnisse sind mit ehrlichen, mutigen Belarussen überfüllt, die keine Zeit daran verschwenden, aufzugeben, trotz des phänomenalen Drucks. Mir ist es eine Ehre, mit meinem Volk diesen Weg zur Freiheit und Veränderung zu gehen. Jeder hat seine Rolle in dieser Geschichte“.

Freundinnen und Bekannte bewundern ihren Willen, sich stetig weiterzuentwickeln, und ihren Optimismus. Doch ihre Lage verschlechtert sich zunehmend. Sie wurde vom Regime zu 11 Jahren Gefängnis verurteilt. Seit Februar 2023 und schwerer Erkrankung ist sie in der Frauenstrafkolonie Nummer 4 in Homel verschwunden. Anfragen bleiben unbeantwortet und niemand weiß, wo sie ist und ob sie noch lebt. Sie ist eine von über 1.500 politischen Gefangenen, wie die Menschenrechtsorganisation Wjasna in Belarus berichtet.

Auch in Russland riskieren Einzelne viel im Widerstand gegen Putins Regime. Die ZEIT stellte für ein Dossier im Juli 2023 die Äußerungen von politischen Oppositionellen bei Gerichtsverhandlungen in Russland zusammen. Die Journalistin Maria Ponomarenko nutzte ihre letzten Worte vor Gericht für eine eigene Anklage und kämpferischen Aufruf:

„Glauben Sie, ich werde weinen und in Hysterie verfallen, weil Sie mich zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilen? Nein. Das ist nur ein neuer Lebensabschnitt. Und glauben Sie mir, hinter Gittern gibt es viel mehr anständige Menschen als in der Regierungspartei Einiges Russland. […] Warum fing ich an mich gesellschaftlich zu engagieren? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Geld nicht das Wichtigste ist. Es gibt auch anderes – das, was du in deiner Seele hast. Was bleibt von mir? Nur meine Seele. Und wenn in dieser Seele nur die Gier nach Profit ist, das Verlangen, die Kinder materiell abzusichern – ja, was bleibt dann von mir? Ich will mich nicht schämen, ich will nicht, dass meine Kinder sich schämen, ich will nicht als alte Frau in die Kirche rennen wie diese Großmütterchen, um meine Sünden abzuwaschen. […] Wir sehen uns in Freiheit! Nie sind totalitäre Regime so stark wie kurz vor ihrem Zusammenbruch.“

Die iranische Aktivistin Narges Mohammadi setzte sich bereits während ihres Physikstudiums für Frauenrechte ein. 1998 wurde sie wegen ihrer Kritik an der iranischen Regierung erstmals verhaftet und musste ein Jahr im Gefängnis verbringen. Sie setzte ihren Kampf dennoch fort und schloss sich 2003 dem iranischen Zentrum für die Verteidigung der Menschenrechte an, das von der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi geleitet wird. Später wurde Mohammadi Vizepräsidentin der Organisation.

2015 wurde sie zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt und erst 2020 aus dem Gefängnis entlassen. Sie klagte die körperlichen und sexuellen Misshandlungen von Frauen im Gefängnis an und protestierte gegen die Hinrichtung von Regimekritikern. 2021 wurde sie erneut verhaftet. Im Mai 2023 sagte Mohammadi in einem nicht autorisierten Telefoninterview mit der New York Times:

„Jeden Tag sitze ich vor dem Fenster und blicke in das Grün und träume von einem freien Iran. Je mehr sie mich bestrafen, je mehr sie mir wegnehmen, desto mehr werde ich kämpfen, bis wir Demokratie und Freiheit erreicht haben.“

Im Oktober erhielt sie „für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Unterstützung der Menschenrechte und der Freiheit für alle“ den Friedensnobelpreis. Sie und ihre Mitstreiter*innen setzen den Kampf für eine bessere Zukunft fort.


Bildnachweise:
Bild 1: Rosa Luxemburg © Rosa-Luxemburg-Stiftung via flickr, CC BY 2.0, www.flickr.com/photos/rosalux/6851006923
Bild 2: Sophia Huang Xueqin © lllustration des Künstlers Badiucao
Bild 3: Narges Mohammadi © Nobel Prize Outreach, Illustration von Niklas Elmehed