Pink ist das neue Schwarz
Über friedliche Proteste in einem gewalttätigen System, den Protest der queer-Szene, staatliche Provokation und Repression – der G8 in Heiligendamm.
Wer diesen Sommer um Heiligendamm mit Basecap, Sonnenbrille und Halstuch unterwegs war, lief Gefahr, in Gewahrsam genommen zu werden. Die Absurdität dieser Praxis und Schäubles Forderung nach einem Verbot der Farbe schwarz auf Demonstrationen schien niemanden wirklich zu stören. Stimmungsmache gegen den „Black Bloc“ hatten Priorität – „Chaoten wollen sich nur prügeln“, aber dass das oft die Menschen sind, die sich das ganze Jahr mit Politik auseinandersetzen, die versuchen in alternativen Projekten herrschaftsfrei zu leben und nicht nur einmal im Jahr zu einen Protest fahren, das wurde völlig außer acht gelassen. Die Polizei begegnete bunten und schwarzen DemonstrantInnen mit Helmen, Schlagstock und Pfeffergas. Hohe Verletzungszahlen bei der Polizei kamen u. a. dadurch zustande, das einige BeamtInnen durch Seifenblasen der ClownprotestlerInnen Hautreizungen erlitten.
Bundeswehreinsatz, Hubschrauberterror, Kriminalisierung von Grundrechten, keine Sachbeschädigung, sondern §129a. Das war der deutsche Staat in diesen Tagen. Über Sinn und Unsinn von Steine werfen und Gewalt lässt sich kontrovers diskutieren, aber aus einer Sachbeschädigung einen terroristischen Akt zu machen, da fällt mir der alte Spruch ein: „Menschen sterben und ihr schweigt, Scheiben klirren und ihr schreit.“ So war der Nackte Block („vorbildlicher Demonstrant“) sicher eine konsequente Idee. Eine absolute Stimmungsmache gegen „linke Chaoten“, die bereits im Vorfeld begann, erforderte zur Rechtfertigung von Millionen ausgegebener Gelder für Sicherheitspolitik schließlich auch eine Eskalation.
Diverse Gruppen haben sich am G8-Protest beteiligt, u. a. gab es im Camp Reddelich ein Queer Barrio mit bis zu 300 Menschen. Welche Besonderheit queerer Protest hat, inwieweit Feminismus und die queer Bewegung zusammenhängen und was diese vom „Black Bloc“ denken, zeigt sich im folgenden Interview mit der queer Aktivistin Paula (30, Studentin), die die Tage in Reddelich miterlebt hat. Mit ihr sprach Sonja Klümper.
Wo ist der Unterschied bei queer zu anderen Barrios und warum ist ein solches Barrio wichtig?
Viele Sachen sind gleich, auch im queer barrio gibt es Zelte, `ne Küche, Leute, die Lust auf Aktionen haben und welche, die keine Lust darauf haben. Welche, die abends trinken und andere, die lieber am nächsten Tag um 6 aufstehen, um zu protestieren. Wir wollten einen Raum von und für queers. Die Leute, die sich dazu entschlossen hatten, wollten einen queer-feministischen Raum innerhalb eines Widerstandscamps gegen den G8 schaffen, wo beispielsweise positiv mit Sexualität umgegangen wird, wo gender, trans und butch und femme bekannte Begriffe sind. Das queer-Camp war wichtig, um eine radikale queere community zu stärken und queer-feministische Präsenz zu zeigen. Das heißt auch, sich nicht im queeren Ghetto zu verkriechen, sondern auch im ganzen Camp Auseinandersetzungen zu führen, mit anderen gemeinsam arbeiten und kämpfen. Aber eben auch einen Rückzugsraum haben.
Was bedeutet queer für dich?
Queer heißt nicht nur „körpergendersexualitätsidentitätsauseinandersetzungen“ und –Entwicklungen, sondern auch zu gucken, woher eigentlich diese ganze Scheiße kommt, die uns in Normen presst. Es ist nicht etwas, worüber man drei Jahre nachdenkt und dann Gender Studies studiert und dann entscheidet queer zu sein. Queer ist wichtig, um den auch heterosexistisch dominierten Widerstandsgruppierungen einen Kontrast zu zeigen. Ich war jahrelang auf verschiedenen Protestcamps und es ist anders, mit anderen queers rumzutoben und nicht ständig mit dem überall existierenden Heterosexismus konfrontiert zu werden.
Gibt es spezielle Kritik von queers am G8?
Queers wollen keine Grenzen, wollen keine Abschiebungen. Queers wollen Bewegungsfreiheit und der kapitalistischen Ver-/Entwertungslogik entkommen. Queer ist Rebellion, queers wollen keine Kleinfamilie, die eine der wichtigsten Instanzen einer jeden marktorientierten, neoliberalistischen, ausbeuterischen antifeministischen Gesellschaft ist.
Inwieweit spielt Feminismus eine Rolle?
Feminismus muss in jedem Widerstand Platz haben. Europas Grenzen oder die Globale Grenzpolitik, aber auch bestimmte Werte, die über Machtlogiken und Männerherrschaften transportiert werden, gehen natürlich auch queers an. Nicht umsonst waren das queer und das feministische Camp direkt nebeneinander.
Gab es eine bestimmte Stimmung im queer Barrio zu den so genannten Steinewerfern bzw. der „Black Bloc“-Thematik?
Von der Samstagsdemo waren viele genervt. Es konnte nicht angehen, wie viele Steine aus den hinteren Reihen flogen, die dann auf Schultern und Beinen aus den eigenen Reihen landeten. Es schien ein Ventil für viele gewesen zu sein und der einzige Zeitpunkt, Luft rauszulassen. Zuviel unüberlegtes Handeln. Die Diskussionen danach waren auch schwierig. Überall gab es verkürzte Äußerungen über Black Bloc, Gewalt und so weiter. Ich finde es nicht gut, wie undifferenziert die Meinungen vor der Presse landeten. Für mich und einige andere geht es eher um die Frage: Wo, wann, wie ist es vertretbar, was kaputtzumachen? Ich verstehe die Wutausbrüche und die Zerstörungslust – und wie lächerlich steht diese da gegenüber den vielen Staaten, die Waffen herstellen, Kriege beginnen oder Kriege finanzieren? Deren Wirtschaft und Nation auf Kriegen, Blut und Zerstörung basieren? Genau das ist natürlich auch ein gutes Argument gegen Gewalt: Man ist doch selbst dagegen, und jetzt nimmt man dieselben Methoden? Wir stecken alle voll von Widersprüchen. Bilder von kaputten Zäunen oder Menschen, die drüber klettern, hatten in der Vergangenheit auch schon immer eine starke symbolische Wirkung. Medial und emotional. Gibt auch leider mehr Presse, wenn Wasserwerfer für Verletzte sorgen und Autos brennen, als wenn Leute losgehen und ihre Redebeiträge zum Besten geben.
Hältst du friedliche Proteste für sinnvoll? Was haben die Massenblockaden gebracht?
Es war schon eine kraftvolle Erfahrung, mit so vielen Menschen über die Felder zu latschen und auf der Straße anzukommen, die man sich ausgesucht hatte. Ich war darüber verwundert, dass wir so leicht aus dem Camp rausgehen konnten, hatte fest damit gerechnet, dass die Polizei das verhindern wollen würde. Auch die 200-m-Verbotszone hatte plötzlich kaum noch Geltung. Es war zu offensichtlich, dass sie sich das genau überlegt haben, wo wir hingelassen werden und wo nicht. Trotzdem ist es ein starkes Gefühl zu sehen, wie viele wir sind. Nur so war es möglich, diese symbolischen Blockaden durchzusetzen. Aber mir hat da einiges gefehlt. Es war ein kleiner Schritt auf dem Weg. Ein kraftvoller, symbolischer Widerstand, der sichtbar gemacht hat, dass es viele gibt, die absolut unzufrieden sind.
Siehe auch Broschüre des Antifa-Kok zu den G8-Protesten: www.antifakok.de