Körperhass ist ein feministisches Thema – aber welches?
Von Anna Schiff
Körperhass, allen voran weiblicher, ist seit den 1970er Jahren ein Klassiker der feministischen Themen. 1979 erschien das „Anti-Diät-Buch“ der amerikanischen Therapeutin Susie Orbach. Darin vertritt sie die These, das schlanke Schönheitsideal stehe in einem Zusammenhang mit dem Erstarken der feministischen Bewegung. Gerade dann, wenn Frauen mehr gesellschaftlichen und politischen Raum erobern, wird ihnen (medial) eingetrichtert, dass sie ganz buchstäblich weniger (physischen) Raum einnehmen sollen. Orbach riet Frauen intuitiv zu essen, auf sich zu hören, um Über- oder Unteressen zu vermeiden und so schlank zu werden oder zu bleiben. Das „Anti-Diät-Buch“ ist in diesem Sinne einfach nur eine Diät 2.0 – eine Diät, die vorgibt keine zu sein, aber deren Ziel nichtsdestotrotz schlanke Körper sind. Aber dieses Schlanksein ist dann eben kein Zwang mehr, sondern freiwillig.
In den 1980er Jahren griff die Emma das Thema lautstark in Deutschland auf. 1984 erschien der Sonderband „Durch Dick und Dünn“. Der „Magerwahn“ auch hier eine Antwort des Patriarchats. Früher Korsetts, heute die Brigitte-Diät. Eine Position, die sich seitdem nicht verändert hat. 2001 heißt es in der Emma: „In einer Zeit, in der Mädchen – Emanzipation sei Dank – öffentlich stark sind und an Gymnasien und Unis Girl-Power demonstrieren, schwächen sich dieselben Mädchen gleichzeitig durch Selbstzerstörung. Wie praktisch.“ Praktisch – für wen?
Ich hatte meine gesamte Pubertät über Hunger. Dafür bekam ich viel Applaus – nicht für den Hunger, aber für meine Disziplin, dem Hunger nicht nachzugeben. Ich bekam Anerkennung dafür, dass ich mich selbst hasste und es an meinem Körper ausließ. Ich wurde dafür gelobt, dass ich eine gefühlte Wahrheit nicht aussprach, sondern kleine Stückchen von mir abhackte, um eine systematische Lüge nicht in Frage zu stellen. Ich wurde dafür gelobt, dass ich ein braves Mädchen war. „Ein braves Mädchen zu sein, kann einen umbringen“, schreibt Laurie Penny, die in ihrem Buch „Unsagbare Dinge“ ihre Essstörung thematisiert.
Mein Hunger war Teil eines größeren Projektes. Auf meiner Agenda stand nicht nur diszipliniertes Nicht-Essen und Joggen auch bei Kälte, sondern auch diszipliniertes Lernen. Das Lernpensum musste ich verdoppeln, da ich vor lauter Hungern unter Konzentrationsschwierigkeiten litt, die meine Versetzung jahrelang gefährdeten. Ich selbst wie auch mein gymnasiales Umfeld dachte, ich wäre einfach nur faul und womöglich einfach nicht gymnasialfähig. Faul sein war aber keine Option, dafür schien die Chance, die mir gegeben wurde, zu groß. Meine Eltern waren schließlich nicht nach Deutschland gekommen, damit ich faul sein konnte. Ich hatte schließlich die Wahl – ich musste ja nicht in der Arbeiter*innenklasse bleiben, ich konnte mit Bildung aufsteigen. Ich musste nur wollen. Ich musste mich nur anstrengen. Ich machte 2006 Abitur, kurz nach der Umsetzung der Agenda 2010. Ich war ein Kind meiner Zeit. Der Neoliberalismus war nicht nur politisch angekommen, er zog auch in unsere Köpfe und Körper ein – und er war gekommen, um zu bleiben.
Eine Studie der Jugendzeitschrift Bravo ergab, dass nur knapp die Hälfte der 11- bis 17-jährigen Mädchen, 52%, mit ihrem Körper zufrieden ist. Jungs schaffen es auf immerhin 67%. Jedes dritte Mädchen ab 13 Jahren kontrolliert regelmäßig ihr Gewicht. Was nicht weiter verwundert, wenn man bedankt, dass 78% der Mädchen und Jungen einen Zusammenhang zwischen Beliebtheit und Dünn-Sein vermuten. Die internationale Studie „Health Behaviour in School-aged Children“ (Gesundheitsverhalten von schulpflichtigen Kindern), unterstützt von der WHO, kommt für Deutschland zu ähnlichen Ergebnisse. Sie hebt aber außerdem hervor, dass Jugendliche mit niedrigem familiären Wohlstand ihren Körper häufiger als etwas oder viel zu dick empfinden und auf Diät gehen als ihre Klassenkamerad*innen mit mittlerem oder hohem familiären Wohlstand. Ebenso verhält es sich mit Migrationshintergrund. Seinen Körper zu hassen ist auch eine Frage der Klasse. Auf der einen Seite stehen die fitten Leistungsträger mit den gestählten Körpern, auf der anderen Seite die rauchenden, übergewichtigen Hartz-IV-Empfänger – zumindest ist das das Bild, das Medien und Politik nicht müde werden zu zeichnen. Soziale Ungleichheit wird so nicht nur moralisiert, sondern geradezu verkörpert. In einer neoliberalen Welt, in der Körper als eine Visitenkarte unserer Leistungsfähigkeit gelten, ist Körperhass die Illusion von Handlungsmacht. Eine käufliche noch dazu.
2004 lancierte die Seifenmarke Dove die Kampagne „Initiative für wahre Schönheit“, unterstützt von Susie Orbach. Noch heute ist auf Doves Webseite nachzulesen: „Schönheit sollte eine Quelle des Selbstvertrauens sein – nicht des Selbstzweifels.“ Hinter der Kampagne stehen wissenschaftliche Tatsachen. Die Dove-eigenen Studien haben ergeben, dass sich nur 4% der Frauen weltweit „schön“ finden. 72% der Mädchen fühlen sich unter Druck, „schön“ zu sein, und 68 % der Befragten kritisieren, dass (werbe-)mediale Körperrepräsentationen unrealistische Maßstäbe setzten. Dove trat an das zu ändern und zeigte in seinen Werbespots ältere Frauen, dickere Frauen – all jene, die sonst nicht repräsentiert werden –, erfüllte damit eine zentrale feministische Forderung und wurde auch von Susie Orbach unterstützt. Kapitalismus – ich hör dir trapsen. Doves Studie nennt sich in einer kritischen Lesart ganz schnöde „Marktforschung“. Marktforschung tut genau das – die angestrebte Konsument*innengruppe wird erforscht wie sie’s denn nun gerne hätte, und dann wird das zu verkaufende Produkt entsprechend angekleistert. Markforschung will Produkte verkaufen und eben nicht die Welt verändern. Marktforschung macht, dass hautstraffende Creme zu einem (pseudo-)feministischen Wohlfühlprodukt wird. Dove ist eine Marke – keine soziale Bewegung.
Auf RTL II wird aktuell das „Curvy Supermodel – Echt. Schön. Kurvig“ gecastet. Nicht nur Heidi Klums dürre Topmodels können „schön“ sein, auch ausgewählte „kurvige“ Frauen – solange ihre Kurven an Busen und Hintern sind, bei gleichzeitig schmaler Taille, versteht sich. Gewinnen wir Frauen, wenn mehr Frauen in die Kategorie „schön“ passen? Hassen wir unsere Körper weniger, wenn mehr von uns ein Stück vom Schönheits-Kuchen abbekommen? In einer Welt, in der Körperhass ein so lukratives Geschäft, „Schönheit“ und Selbstwert käuflich sind. Schönsein ist kein Gefühl, sondern ein Werturteil. Wut ist ein Gefühl.
Statt um Repräsentation zu bitten: Warum nicht wütend sein auf Verhältnisse, in denen mit unserem Körperhass Profit gemacht wird?
Ich will kein Stück vom Kuchen. Mir wäre eher danach, die Bäckerei in Schutt und Asche zu legen und gemeinsam blühende Obstgärten zu pflanzen.
Links:
www.initiativefuerwahreschoenheit.de/uploadedfiles/de/Dove_Global_Report.pdf
www.dove.com/us/en/stories/about-dove/our-research.html
www.emma.de/artikel/essstoerungen-der-koerper-wird-zum-schlachtfeld-263606