Humor
von Melanie Stitz
(Einleitung aus WIR FRAUEN Heft 4/2020)
„Humor ist, wenn man trotzdem lacht“, behauptet der berüchtigte Volksmund. Für alle, die ob ihrer Herkunft, Hautfarbe, vermeintlichen Übergewichts, geschlecht oder Behinderung ständig Späße auf ihre Kosten spendieren sollen, hat das einen schalen Beigeschmack.
Wer kann es sich leisten, über sich selbst oder andere zu lachen? Wer definiert, was witzig ist oder Kunst oder „guter Geschmack“? Deutungshoheit in Frage zu stellen bleibt eine fortwährende feministische Herausforderung: In manchen Niederlassungen von McFit gibt es auf dem Männerklo grell-rot geschminkte Frauenmünder als Urinale. Wem da der Harndrang versiegt oder die Galle hochkommt, hat eben den Witz nicht verstanden. Die BRAVO GIRL-Redaktion sorgte vor Jahren für Aufsehen mit übelst sexistischen Witzen, die sie ihren Leserinnen zu erzählen empfahlen, um bei den „süßen Boys“ auf dem Schulhof Sympathiepunkte zu machen und zu demonstrieren, wie „selbstbewusst“ sie doch sind. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen… Humor ist auch eine Frage von Macht und Witze sind ein Beziehungsgeschehen.
Dann gibt es noch ein eigenes Genre der Ehe-Witze, z.B. über Männer, die ihre Frauen hässlich finden, oder über Frauen, die beim Sex an die Hausarbeit denken, die noch zu erledigen ist. Solche Witze erzählen auch von den offenbar traurigen Zuständen in heterosexuellen Beziehungen und funktionieren vermutlich nur im Patriarchat. Unmengen von Witzen nehmen die Selbstzweifel von Frauen aufs Korn, spotten über die Bemühungen, Orangenhaut und Falten zu kaschieren. Wie soll frau da ihren Humor nicht verlieren?
Glücklicherweise gab es und gibt es auch ein Lachen von unten, über den Kaiser, der eigentlich nackt ist und lächerlich und Respekt nicht verdient. „Wir sind genauso Scheiße wie ihr“ – mit diesem Argument trällern und donnern die Ladies von „Suchtpotential“ gegen den Gender Pay Gap. Es gibt dieses herzhafte Lachen mit Freundinnen, das Verbundenheit stiftet, Vertrauen und Mut. In der griechischen Mythologie bringt Baubo die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter mit obszönen Scherzen wieder zum Lachen: Fröhlich und frech hebt sie den Rock und entblößt ihre Vulva vor der Freundin, die trauert, weil ihre Tochter Persephone durch den Unterweltsgott Hades entführt worden ist.
Es wären so viele zu nennen: witzige Frauen, denen nichts heilig ist, die albern und klug sind, eine Wohltat für die Seele, Klischees aufs Korn nehmend, im besten Sinne tabulos und hoch politisch. Verteilt auf den kommenden Seiten stellt Gabriele Bischoff einige mit kurzen Porträts vor. Annegret Kunde ging auf der Suche nach komischen Frauen auf virtuelle Weltreise und Christiana Puschak erinnert an Kabarettistinnen wie Valeska Gert, Alice Dorell oder Helen Vita. Und weil das nicht reicht, wird das Kleine Lexikon des Wir Frauen-Kalenders 2022 den Komikerinnen gewidmet sein.
Annegret Kunde hat Studien gesichtet, die den Zusammenhang von Humor und Geschlecht untersuchen. Daniela Weißkopf fragt, welche Rolle Frauen in der Politsatire spielen. Den Schluss macht ein Artikel von Jette Maria Floeth über die Zumutung, „gute Miene“ machen zu sollen, und plädiert dafür, uns das Lächeln zurückzuholen. Sie gibt damit ihr Debut in Wir Frauen.