Hate-Speech. Was tun gegen Hassbotschaften im Netz? – Ein Interview mit Jasna Strick
Von Kathrin Schultz
Geschrieben habe sie schon immer gern, sagt Jasna Strick. Geboren 1989, startete sie mit 15 Jahren ihren ersten Blog über ihren Schulalltag. Ihre Kindheit verbrachte sie mit Büchern und merkte schnell, dass etwas nicht stimmt – für Mädchen weltweit und im eigenen Leben. Aufgewachsen in Düren, einer mittelgroßen Stadt bei Köln, gründete Jasna 2013 mit Freund*innen das Gemeinschaftsportal „Der k_eine Unterschied“. Seit 2011 schreibt sie online auch über queerfeministische Themen. „Feministin zu sein, bedeutet für mich, ungemütlich zu bleiben. Ich hatte schon immer den großen Drang zu widersprechen. Ins Bloggen bin ich so reingerutscht.“
Heute verbringt die 28-Jährige die Hauptzeit des Tages im Internet. Beruflich wie privat. „Offline bin ich eigentlich nur, wenn ich schlafe.“ Nach dem Germanistik-Studium in Düsseldorf zog Jasna 2014 nach Berlin, weil dort politisch jede Menge passiert. In ihrem Heimatort fühlte Jasna sich politisch oft isoliert. Aus dem Gefühl heraus, irgendwie „anders“ sein, knüpfte sie im Netz erste Kontakte zu Gleichgesinnten, fand ihren Job in einer Digital-Agentur. Dafür schätzt sie das Internet: „Es ist ein enormer Wissensspeicher zu allen möglichen Nischenthemen. Es ist ein Ort für Kunst und Kultur.“ Zudem bietet es die Möglichkeit, selbst Output zu geben inklusive Vernetzungscharakter. Gleich zwei der Hashtags, die sie mitbegründet hat, riefen großes Medienecho hervor.
Ein „Hashtag“ (#) ist eine Schlagwortsuche bei Twitter. Hier ist Jasna u.a. netzpolitisch aktiv. Der #aufschrei, spontan initiiert von ihr und ihren Online-Freundinnen Anne Wizorek und Nicole von Horst, wurde 2013 sogar als erster seiner Art mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Zahlreiche Betroffene posteten kurze Feeds über sexistische, selbst erlebte Übergriffe. „Diese komprimierten Beiträge trafen mich mitten ins Herz“, erinnert sich Jasna. Der Widerhall der Netz-Community war enorm. Innerhalb weniger Stunden folgten Einladungen zu Günther Jauch und in andere TV-Formate. Von hier auf gleich war Alltagssexismus in aller Munde. „An Küchentischen, in Hörsälen und Schulen wurde darüber diskutiert, sogar im Parlament. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erhielt mehr Anzeigen als vorher, da den Leuten bewusst geworden ist, welche Möglichkeiten es gibt, sich zu wehren.“ Ein Teilerfolg. Heute kann Jasna jedoch nicht mehr empfehlen, unter #aufschrei etwas zu posten, da dieser längst „gekapert“ worden sei. Von antifeministischen Personen, deren Kommentare eindeutig als „Hate Speech“ einzuordnen sind. Zu Deutsch: Hassreden.
Die im europäischen Zusammenhang relevante politische Definition – laut Amadeu Antonio Stiftung – ist der des Straftatbestandes der Volksverhetzung sehr ähnlich. Demnach richtet sich Online-Hetze gegen Personen aufgrund von ethnischer und religiöser Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Geschlecht, Alter, Behinderung oder Krankheit. Innerhalb einer Sprachgemeinschaft könne es jedoch sehr unterschiedliche Ansichten darüber geben, was als Hassrede gilt. Grund hierfür seien Privilegien, aber auch unterschiedliches Empfinden.
Reagieren deshalb, laut aktueller Forsa-Studie, nur 50% der Befragten auf Hasskommentare im Netz? Zwei Drittel gaben an, mit solchen konfrontiert zu sein, in der Altersgruppe 14-24 Jahren sogar jede*r Zweite. Auch Jasna – wie viele andere feministische Aktivist*innen – war schon oft Angriffen ausgesetzt, bis hin zu Mord- und Vergewaltigungsandrohungen. Ihr Name steht daher nicht mehr am Klingelschild und sie überlegt sehr genau, wem sie welche persönlichen Daten preisgibt. „Eine Drohung als Post zu lesen, ist nicht weniger schlimm als eine persönliche Konfrontation oder eine auf Papier, sondern vielleicht sogar schlimmer, da nicht nur ich, sondern alle Personen im Netz das mitbekommen, also auch mein Chef oder meine Mutter.“
Auch die Fachgesellschaft Gender beobachtet seit längerem, wie v.a. Sexismus in sozialen Netzwerken zunimmt, und begreift dies als „generelle Ablehnung feministischer Ideen“ statt als Angriff auf Einzelne. Erträglicher werden die Hassbotschaften für die Betroffenen dadurch nicht. Zumal immer mehr Studien nahelegen, dass digitale Gewalt sich in der analogen Welt fortsetzen könne.
„Weltfrieden, online“, so lautet die Vision des Online-Netzwerkes No-Hate-Speech. Passend dazu gibt es in Deutschland seit dem 30.06.2017 das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“, das Facebook, Twitter, YouTube & Co. ab sofort verpflichtet, klar strafbare Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen. Doch das Gesetz ist umstritten, da Webseiten-Betreibende selbst entscheiden dürfen, was sie als strafbar empfinden, wodurch schon jetzt Beschneidungen der Meinungsfreiheit zu beobachten sind. „Alle Gesetze in dem Bereich sind zu ungenau formuliert“, fügt Jasna hinzu. „Die Leute, die uns beleidigen, sind sehr unterschiedlich. Manche sind anonym, andere nicht. Oder sie nutzen Fake-Accounts, weshalb wir nicht einmal genau wissen, wie viele Frauen* uns tatsächlich schreiben.“ Der Großteil der Hetzreden gehe aber von männlichen Usern aus. „Darunter sind sogar bekannte Nazis oder Professoren und Anwälte. Die wissen relativ genau, was sie schreiben dürfen, was nicht.“ Da eine Anzeige wahrscheinlich eh wieder fallen gelassen würde, hat Jasna noch nie eine erstattet. In ihrem Bekannt*innenkreis ist das schon häufiger passiert. „Außerdem ist es schwierig genug, manchen Justizbeamt*innen überhaupt erst die Funktionsweise von Twitter zu erklären. Eine Anwält*in musst du dir erstmal leisten können. Und so weiter und so fort.“ Trotzdem sammelt Jasna Screenshots von den Beleidigungen, um im Zweifelsfall gewappnet zu sein.
Die Stiftung Warentest veröffentlichte dazu einen „Bußgeldkatalog“, der beispielhaft finanzielle Konsequenzen aufzeigt. „Lasst euch nicht entmutigen oder davon abhalten, euch an Debatten zu beteiligen“, rät die Stiftung. Ganz so aussichtlos ist der Kampf nämlich nicht. Prominentes Beispiel: ZDF-Moderatorin Dunja Hayali. Schon mehrmals ging sie vor Gericht – oft erfolgreich.
Dass Menschen dennoch Angst haben, gegen Hassreden vorzugehen, kann Jasna nachvollziehen. „Jedes Interview dazu re-traumatisiert mich“, berichtet sie. „Dennoch möchte ich die Chance nutzen, etwas dagegen zu tun.“ Schließlich sei das Internet ein wichtiger Ort für sie. Nach wie vor kennt sie viele ihrer Mitstreiter*innen nicht persönlich, manche wohnen hunderte Kilometer weit weg. Nicole zum Beispiel, Mitbegründerin von #aufschrei, hat Jasna erst kurz vor der Grimme-Verleihung von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Heute ist sie Patentante ihres Kindes.
„Gewalt im Internet ist immer echte Gewalt“, sagt Jasna zum Abschluss. „Nicht immer macht es Sinn, darauf einzusteigen. Doch statt nur Negatives zu kommentieren, müssen wir auch die Betroffenen supporten. Bestenfalls öffentlich.“
Achtsamkeit und Sensibilisierung, das fordern zahlreiche Aufklärungsseiten. Jasna geht noch weiter: „Wir brauchen mehr Zivilcourage, gerade nach dem Rechtsruck der letzten Jahre. Und wir brauchen mehr Medienkompetenz. Aber nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene, z.B. mehr Schulungen für Verwaltung und Polizei.“ Aber auch in der Vereinslandschaft müsse sich einiges tun, z.B. müssten sich Beratungsangebote speziell für Frauen vermehrt des Themas annehmen, was bisher, laut Jasna, nur unzulänglich geschieht.
Links:
http://jasnastrick.de
www.fg-gender.de
www.buendnis-gegen-cybermobbing.de
http://no-hate-speech.de
www.schau-hin.info