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Sommer 2/2024

Geschichte(n) von Frauen* im Sport

Gegen die „Fesseln der Konventionen“

von Anni Steiner

(aus WIR FRAUEN Heft 4/2023)

Die Geschichte von Frauen* im Sport ist geprägt von Misogynie, Exklusion und Körpernormierungen. Gleichzeitig ist sie durchsetzt von Protest, Selbstermächtigung und Kämpfen um Gleichberechtigung.

Bereits in der Antike sollten strenge Gesetze Frauen* davon abhalten, an Sportveranstaltungen teilzunehmen. Die Teilnahme von Frauen an den Olympischen Spielen wurde durch Hinunterstoßen vom Felsen Typaion in den Fluss bestraft. Kallipatira, eine Mutter aus gymnastisch erfolgreicher Adelsfamilie, die sich als männlicher Trainer ihres Sohnes ausgab, entging nur knapp einer Strafe. Künftig aber mussten alle Trainer, wie bereits die Athleten, nackt an den Wettkämpfen teilnehmen. So war es kaum möglich, den Ausschluss zu umgehen.

Kyniska, eine spartanische Königstochter, fand jedoch 396 v. Chr. eine Lücke in den Regeln: Beim Tethrippon (Wagenrennen) waren weder Fahrer noch Pferde die Gewinner*innen, sondern die (in der Regel männlichen) Besitzer der Pferde. Dank eines Erbes konnte Kyniska eigene Pferde züchten, die sie zum Tethrippon anmeldete. Kyniska war damit die erste Frau, die an einer olympischen Sportart teilnahm und siegte. Auch wenn es ihr nicht gestattet war, das Stadion zu betreten und ihren Preis entgegenzunehmen.

Die modernen Olympischen Spiele fanden erstmals 1896 in Athen statt. Der Gründer Pierre de Coubertin hielt am historischen Vorbild fest und befand, die Aufgabe der Frauen* liege in der Siegerkrönung. Zudem sei sportliche Aktivität bei Frauen* „unästhetisch“. Nach der französischen Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, für die De Coubertin die „körperlichen Schwäche“ und die „Verweiblichung“ der Soldaten verantwortlich machte, war sein erklärtes Ziel, eine nationale Männlichkeit durch männlichen Athletismus aufleben zu lassen.

Die britische Autorin Rachel Hewitt argumentiert, dass Sport sich insgesamt in Europa zu dieser Zeit maskulinisierte und sich von einem vergnüglichen, oft geschlechterübergreifenden Zeitvertreib zu einer leistungsorientierten, regulierenden Aktivität entwickelte – Sport sollte aus Kindern funktionierende Staatsmänner machen. So fand der Sport auch Einzug in Schulen. Hewitt nennt als Beispiele Cricket und Bowling, die im 18. Jahrhundert noch gemischtgeschlechtlich gespielt wurden, bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein neues Regelwerk Frauen* systematisch ausschloss.

Doch diese wehrten sich dagegen, wie Lizzie LeBlond, eine 1860 geborene irische Alpinistin und Fotografin, die sagte, die Berge hätten sie „von den Fesseln der Konventionen befreit“. Sie gilt als Pionierin für den Alpinsport und fotografierte Frauen* beim Bergsteigen, Fußball oder Rugby – ein Zeitdokument, das die heutige Vorstellung von viktorianischen Frauen*bild in Frage stellt. LeBlond war langjähriges Mitglied in einem Schweizer Alpenverein, der Anfang des 20. Jahrhunderts Frauen* die Mitgliedschaft entzog. Auch in Zeitschriften wurden Bergsteigerinnen* nicht mehr namentlich erwähnt. Als Reaktion gründete LeBlond mit anderen den „Ladies‘ Alpine Club“.

Besonders Sportlerinnen*, die im öffentlichen Raum aktiv waren, standen oftmals den politischen Ideen der Suffragetten nahe. So zeigen Fotografien feministische Bergsteigerinnen*, die „Votes for Women“ Schilder auf Bergspitzen hochhalten.

Fanny Bullock Workman auf dem Silver Throne Plateau im Karakorum-Gebirge (Asien) mit einem „Votes for Women“-Flugblatt in der Hand, ca. 1911/1912. Foto: Library of Congress, LC-USZ62-108071

Und es bildeten sich weitere Zusammenschlüsse wie der internationale Frauensportverband FSFI, der klassenübergreifend agierte. 1921 fanden erstmalig die Frauenweltspiele statt – in klarer Konkurrenz zu den Olympischen Spielen.

Ab dem 18. Jahrhundert wurden vermehrt die Lebensbedingungen von Frauen* für Krankheiten verantwortlich gemacht, weshalb Ärzte (sic!) Bewegung als Gegenmittel verschrieben. Dies widersprach jedoch den gesellschaftlichen Vorstellungen von Weiblichkeit, wonach Blässe, Hilflosigkeit und Ohnmachtsanfälle als vornehm galten. Die Empfehlungen waren beschränkt auf Übungen, die nicht den angeblichen Eigentümlichkeiten des weiblichen Körperbaus zuwiderliefen. Verpönt waren beispielsweise das Springen oder Spreizen der Beine, das die Sexualorgane aus ihrer Lage bringen könne.

Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts blieben die Möglichkeiten der Teilnahme bei zahlreichen Sportarten beschränkt – etwa im Radsport, Eishockey oder Fußball. 1917 wurde mit Handball eine „harmlosere“ Fußball-Ersatzsportart erfunden. Ein kleineres Spielfeld, kleinere Tore, entschärftes Reglement und das Verbot von Kampf und Körperkontakt erschienen angemessener für Frauen*.

Die Gründerväter der Internationalen Eislaufunion hatten es für so unrealistisch gehalten, dass eine Frau* in der „Männersportart“ Eiskunstlauf teilnehmen würde, dass sie ihren Ausschluss im Regelwerk vergaßen. Als Madge Syers am 13. Februar 1902 die Eisfläche des Londoner Stadions, in dem die Weltmeisterschaft stattfand, betrat, mussten sie die Britin widerwillig zulassen. Syers wurde Vizeweltmeisterin. Und das im knöchellangen, schweren viktorianischen Rock.

Auch im Radsport fanden Protest und mühsame Aushandlungsprozesse statt. 1924 öffneten die Organisatoren den Giro d’Italia für „jedermann“ und kamen ebenfalls nicht auf die Idee, dass sich auch Frauen* angesprochen fühlen könnten. Die 32-jährige Alfonsina Strada meldete sich unter dem Namen Alfonsin Strada beim „neuen Giro“ an. Die Organisatoren vermuteten einen Schreibfehler, änderten den Namen in Alfonsino und registrierten sie. Als Alfonsina ihre Startnummer abholte, wurde der Fehler erkannt und löste Empörung aus, trotzdem durfte sie starten. Nachdem ihr Lenker bei der achten Etappe durch einen Sturz brach – sie ersetzte ihn durch einen Besen – überschritt sie das Zeitlimit und wurde ausgeschlossen. Trotzdem fuhr Alfonsina weiter und beendete den Giro 28 Stunden langsamer als der Sieger und 20 Stunden schneller als der letzte Fahrer.

Wie eng die Verbindung von politischen Kämpfen und Sportlerinnen* sein kann, zeigt sich am Beispiel von Denise Briday, einer französischen Basketballspielerin* und Mitgründerin* der Widerstandsorganisation „Sport Libre“. Briday kämpfte mit allen Mitteln gegen die deutsche Besatzung und das Vichy-Regime. Nach 1945 fuhr sie mit dem Fahrrad durch Frankreich und gründete in vielen Kommunen Niederlassungen vom Arbeiter*innensportbund „FSGT“.

In den 1960er und 70er Jahren erhielt der Kampf gegen das patriarchale Geschlechterverhältnis im Sport massenmedial Aufmerksamkeit, wie durch das legendäre „Battle of the Sexes“, bei dem Billie Jean King den sexistischen ehemaligen Wimbledon-Sieger Bobby Riggs schlug. Oder durch Kathrine Switzer, die wie ihre athletischen Vorgängerinnen durch einen Kunstgriff beim Boston-Marathon mitlief.

Kathrine Switzer absolvierte 1967 als erste Frau den Boston-Marathon mit offizieller Startnummer. Der wütende Renndirektor wird von ihrem damaligen Freund daran gehindert, ihr die Nummer abzureißen. Das Ereignis löste weltweit Diskussionen aus. Foto: Boston Herald, kathrineswitzer.com

Der Blick in die Frauen*geschichte(n) bietet neue Perspektiven auf Sport als Feld emanzipatorischer Aushandlungen von Geschlechterkategorien und Ort des Widerstands gegen patriarchale Normen. Es zeigt, dass Sport mehr sein kann als ein ritualisiertes Massenphänomen oder Vertreterorgan von nationalen, wettbewerbsorientierten und sexistischen Interessen. Der Ursprung des Begriffs „Sport“ liegt übrigens im lateinischen Wort „disportare“, was „sich zerstreuen“ bedeutet. Etwas, was – schaut man sich die hegemoniale männliche Seite des Sports an – vor lauter Wettkampf leicht vergessen werden kann.


Zum Weiterlesen:

  • Müller, Marion (2006): Geschlecht als Leistungsklasse. Zeitschrift für Soziologie Band 35 Heft 5.
  • Schmechel, Corinna (2022): Auspowern und Empowern? Eine Ethnografie queerer Fitnesskultur. Transcript Verlag, Bielefeld.