Logo
Winter 4/2024

Frauen der Berliner Künstlerkolonie

von Christiana Puschak

(aus WIR FRAUEN Heft 4/2023)

„Ein Denkmal besonderer Art“

(Gerda Schulz)

Viele kennen die Künstlerkolonien Worpswede oder Ahrenshoop, manche die Künstlerkolonie Darmstadt, aber nur wenige die Künstlerkolonie Wilmersdorf. Sie war und ist eine Wohnsiedlung im Südwesten des Bezirks Wilmersdorf rund um den Laubenheimer Platz (heute: Ludwig-Barnay-Platz).

Die „Berufsgenossenschaft deutscher Bühnenangehöriger” und der „Schutzverband deutscher Schriftsteller” ließen 1927–1929 drei Wohnblocks für ihre Mitglieder errichten.

Rasch wurden sie zur Adresse bedeutender Persönlichkeiten des künstlerischen sowie intellektuellen Kulturlebens der Weimarer Republik, wie etwa der Volksschauspielerin Steffie Spira oder des Philosophen Ernst Bloch – es sollen rund dreihundert Kunstschaffende gewesen sein, denen das Viertel zur Heimat wurde. Fast alle BewohnerInnen standen politisch links und viele waren jüdischer Abstammung.

Im Volksmund wurde dieses Quartier „Hungerburg“ oder auch „Stempelburg“ genannt, wohnten doch hier zahlreiche arbeitslose oder schlecht bezahlte KünstlerInnen, SchriftstellerInnen, JournalistInnen und Theaterleute. Bis heute ist diese Siedlung ein Ort für KünstlerInnen und der Erinnerung.

Eine, die in die gerade fertiggestellte Siedlung mit ihrem Mann, dem jüdischen Schauspieler und Regisseur Leonhard Steckel, einzog, war die Tänzerin Jo Mihaly – sie tanzte Geschichten, die als Appelle an die Menschlichkeit verstanden werden wollten. Tür an Tür wohnte sie mit Johannes R. Becher, dem Psychoanalytiker Wilhelm Reich und dem Schriftsteller und Journalisten Gustav Regler, der hier mit seiner Frau Marie Luise – Tochter des Malers Heinrich Vogeler – lebte. Regler erinnert sich später in seinen Memoiren:

„Es waren billige Wohnungen, und doch bezahlte kaum einer seine Miete; weder die Gehälter noch die sogenannten Einkünfte der freien Berufe reichten aus. In den meisten Behausungen lag nur eine Matratze am Boden. Die Künstler aßen von Seifenkisten, über die sie Zeitungen gebreitet hatten; keiner verhungerte, man half sich gegenseitig.“

Solidarität und gegenseitige Hilfe wurden hier großgeschrieben, Erinnerungsbücher berichten über das Leben in der Künstlerkolonie (KüKo). In der Regel sind es männliche Stimmen, die herangezogen werden, aber es gibt viele weibliche Stimmen, die Einblicke in Verhältnisse und Gegebenheiten der KüKo vermitteln.

So ist da beispielsweise der 1932 erschienene Roman Eineinhalb Zimmer Wohnung, in dem die Schriftstellerin Dinah Nelken das Leben in der KüKo anschaulich und authentisch schildert, war sie doch selbst von 1928 bis 1936 dort Bewohnerin, wie aus ihrem in der Akademie der Künste bewahrten Nachlass hervorgeht. Bekannt wurde Dinah Nelken nicht allein durch ihre Romane, sondern auch durch das politisch-literarische Kabarett „Die Unmöglichen“, das sie gemeinsam mit dem Journalisten Pem (Paul Marcus) und ihrem Bruder, dem Graphiker Rolf Gero Schneider, ins Leben rief und das begeisterte Kritiken erntete.

Eine andere Bewohnerin, die Auskunft über das Leben und Wirken in der KüKo gibt, ist die Schauspielerin und Schriftstellerin Hedda Zinner, die mit ihrem Mann Fritz Erpenbeck hier lebte. In Fini, Teil ihrer Roman-Trilogie Ahnen und Erben, erzählt sie vom politischen Wirken ihrer Protagonistin vor Ort, greift Hedda doch bei der Gestaltung des Romans auf eigene Erfahrungen zurück. Wir lernen hier die Kehrseite der „Goldenen Zwanziger Jahre“ kennen: arbeitslose SchauspielerInnen, Schlangen vor den Theateragenturen und Theaterchefs, die die Notlage ausnutzen.

Hedda Zinner, Leipzig 1948. Fotograf: R. Rössing. Bild von Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 de, via Wikimedia Commons

In ihren Erinnerungen Aus meinem Leben beschreibt Karola Bloch ihren Wohnungswechsel in den sogenannten „Roten Block“:

„Mehrere Freunde waren im selben Haus unsere Nachbarn. So Peter Huchel und Gustav Regler. In der Nähe wohnten […] Kantorowicz mit seiner klugen, reizenden Frau Friedel – sie war Schauspielerin […] ,– der Regisseur Erich Engel, […] Susanne Leonhard mit ihrem Sohn […] und viele andere. Der ´Rote Block` bildete eine erfreuliche Gemeinschaft, in der Parteilose, Kommunisten und Sozialdemokraten versammelt waren. Bei uns wehten nur die Fahnen Schwarz-Rot-Gold und Rot.“

Und die Sängerin Eva Busch, verheiratet mit dem „Barrikaden-Tauber“ Ernst Busch, lässt uns in ihren autobiografischen Aufzeichnungen wissen: „Uns gegenüber wohnte ein Nazi. Wie er in unsere Künstlerkolonie kam, weiß ich nicht; wahrscheinlich war er ein Spitzel.“

Die 1924 in Dolný Kubín (Tschechoslowakei) geborene Lyrikerin und Schriftstellerin und in der KüKo mit ihrer Schwester Barbara aufwachsende Anna Krommer war mit Marianne Weinert befreundet und diese wiederum mit Josefa Forsch – spätere Grafikerin in der Tradition des Bauhauses. Mit den Töchtern des Schauspielers Albert Steinbrück und mit Cornelia Ruthenberg spielten sie als Kinder gemeinsam auf dem Laubenheimer Platz.

In einem Interview antwortete Anna Krommer auf die Frage, ob sie von ihrem Selbstverständnis her Deutsche gewesen sei, sie habe sich „nie anders als gleichartig mit meinen Schulkameradinnen oder den Freundinnen auf der Straße gefühlt“ und habe „keine schlechten Erfahrungen als Kind in Berlin gemacht. Das war allerdings vor 1933“.

1933 bildet eine Zäsur. Nach dem Reichstagsbrand wurde die KüKo Zielscheibe zunehmenden Terrors, eine Großrazzia der Nazis fand statt. Jo Mihaly hat die Ereignisse vom Fenster ihrer Wohnung aus beobachtet:

„Ein Konvoi von mehr als hundert Fahrzeugen ist […] vor dem Künstlerblock vorgefahren […] Wie Schlachtvieh wurden die vielen prominenten Kollegen auf dem Hof zusammengetrieben […] SA-Leute zertrümmerten gerahmte Bilder auf den Köpfen der Festgenommenen, so daß das Blut an ihnen herunterlief. Ich erkannte einige unserer Nachbarn. Es war grauenhaft.“

Annähernd zwei Drittel der Bewohner der KüKo emigrierten nach dieser Razzia. In eine der „frei werdenden“ Wohnungen zog Helene Jacobs ein, die gemeinsam mit der Schriftstellerin Etta von Oertzen verfolgte Menschen in ihrer Wohnung versteckte. Sie erinnerte sich:

„Als ich 1934 auf Wohnungssuche war, kam ich auch in die ehemalige, rote ´Künstlerkolonie. Viele der früheren Mieter waren bereits emigriert oder hatten, da sie kein Engagement erhielten, das Quartier wechseln müssen. Und trotzdem: Es roch hier mehr nach Menschlichkeit – irgendwie habe ich es gespürt! Ich wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß meine Chance, eine Wohnung zu erhalten, damit zusammenhing, daß andere Menschen ´rausgeekelt worden waren.“

Mit Flugblättern und Flugschriften wird gegen die braune Barbarei aus der KüKo heraus gekämpft. Zu denen, die Gegenwehr leisten, zählt die Fotografin Eva Kemlein, die rund dreißig Mal ihr Quartier wechseln muss. Und in der Wohnung von Alja Blomberg finden konspirative Treffen statt, an denen die Pianistin Irene Meyer-Hanno teilnimmt – von hier aus werden antifaschistische Aktivitäten organisiert.

Nach Ende des „Tausendjährigen Reiches“ werden Wohnungen der KüKo von der Bühnengenossenschaft an Kunstschaffende vergeben, etwa an die Malerin und Textilkünstlerin Kat Kampmann. Häufige Motive ihrer Radierungen und ihrer gestickten Bilder sind Fensterausblicke aus der KüKo. Für die zweiundneunzigjährige Tänzerin Gerda Schulz ist die KüKo „ein Denkmal besonderer Art, zur Erinnerung an die Künstlerinnen und Künstler, die unter der Naziherrschaft zu leiden hatten“.

Und auf dem Ludwig-Barnay-Platz findet sich ein bescheidener Gedenkstein mit der Inschrift: „Mahnmal für die politisch Verfolgten der Künstlerkolonie“.


Die Berliner Künstlerkolonie ist online zu finden unter: https://kueko-berlin.de