Der verlorene Kampf um die Wörter …
Opferfeindliche Sprache: wie wir über sexualisierte Gewalt sprechen
Kinderschänder gibt es nicht. Sextouristen gibt es nicht. Kinderpornos, Babysex oder Kinderprostitution gibt es nicht. Sexualmorde, Sexmonster und Triebtäter gibt es nicht.
Provokante Aussagen? Eigentlich nicht. Bei „Kinderpornos“ handelt es sich nämlich keineswegs um „gespielte“ Sexdarstellungen, sondern um die Bilddokumentation real stattgefundener Misshandlungen bis hin zur Folter. Ein so genannter Sexualmord ist nichts anderes als ein Mord nach vorausgegangener physischer und psychischer Folter. Und auch die so genannte „häusliche Gewalt“ ist wenig häuslich …
Ob Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Frauenhandel, Gewalt in Ehe und Partnerschaft oder im Krieg. Immer ist die verwendete Sprachführung kompatibel mit der Art und Weise, wie Opfer behandelt werden. Die Sprache ist gewissermaßen das Spiegelbild des Umgangs mit den Opfern – und entsprechend mit den Tätern und ihren Taten.
Dabei gibt es kaum einen Bereich, der so mythologisiert wird, so voll von Halbwissen und Falschmeldungen ist, wie den der sexualisierten Gewalt. Das blieb und bleibt nicht ohne Folgen:
Der Sexualisierung der Taten folgt nämlich immer eine Bagatellisierung, und das darf nicht sein!
Und daran soll allein die Sprache schuld sein? Nein. Es geht nicht um Schuld. Aber ein Rad greift ins andere. Und so hat auch Sprache ihren Anteil daran. Einen Anteil, der extrem unterschätzt wird. Denn: Wie soll man unterschiedliche Formen der Gewalt bekämpfen, wenn man die Dinge nicht beim Namen nennt? Von verantwortlichen Politikern, die von „Schmuddelecken im Internet“ sprechen, wo unvorstellbar grausame Bilder und Videos von Kindesmisshandlungen getauscht und angeboten werden, kann wohl kaum erwartet werden, dass sie etwas gegen derart eklatante Menschenrechtsverletzungen unternehmen – und von all jenen, die nicken und die Umschreibung „Schmuddelecken“ unreflektiert akzeptieren, ebenfalls nicht.
Sprache ist untrennbar mit unseren Einstellungen verknüpft. Und unsere Einstellungen beeinflussen wiederum unser Verhalten. Das wird allzu leicht vergessen.
Wer spricht, verhält sich!
Sexualisierte Kindesmisshandlung oder Vergewaltigung ist eben keine Form einer „gewaltsameren Sexualität“, sondern pure „Gewalt“ in einer besonders perfiden Form.
Die Perfidie dieser Gewaltform besteht darin, dass der Täter durch die Tat einen potentiell positiven Erlebnisbereich (Sexualität) an einen grundsätzlich negativen (Gewalt) koppelt.
Im Buch werden diese und zahlreiche weitere Mythen für unterschiedlichste Gewaltbereiche benannt und entlarvt: zur Gewalt gegen Frauen im Krieg, zur Genitalverstümmelung, zur so genannten Zoo“philie“ u.v.m.
Auch die Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft und auf unseren Umgang mit der Problematik werden erläutert; damit das, was der Schweizer Soziologe, Professor Alberto Godenzi, so beißend formuliert hat, irgendwann keine Gültigkeit mehr hat:
„Gesellschaften, die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder zulassen und fördern, geben sich weiterhin den Anschein von Normalität.“
„Der verlorene Kampf um die Wörter…“
Junfermann-Verlag 2007
ISBN 3-87387-641-8
Monika Gerstendörfer