Demokratie braucht die volle Entfaltung der Frau
Frauenbewegung im Libanon
Im letzten, von Israel geführten Krieg gegen Libanon im Juli/August 2006 wurden alle wichtigen Brücken sowie die Infrastruktur des Landes systematisch zerstört – die gesamte Wirtschaft kam zum Erliegen. Bis heute spüren wir die Folgen der zeitweise totalen Belagerung Libanons durch Israel. Ganze Wohnviertel und Dörfer wurden bombardiert. Massaker wie das von Qana kosteten viele Menschen das Leben. Immer noch sterben Menschen durch explodierende Splitterbomben, Minen oder die zuletzt geschickten Giftballons.
Der Plan war offensichtlich, den Widerstand zu brechen, die Bevölkerung zum Auswandern zu zwingen sowie eine Teilung Libanons in konfessionell unterschiedliche Staaten zu erreichen. Die konfessionellen und politischen Auseinandersetzungen könnten heute einen Bürgerkrieg auslösen.
Vor diesem Hintergrund ist die Situation der Frauen zu sehen.
Die Lage der libanesischen Frau
Die Lage der Libanesin, besonders im Produktionsprozess, hat sich im Rahmen der gesellschaftlich–ökonomischen Veränderungen insgesamt verbessert. Ihre Teilnahme am Arbeitsprozess und an der Entwicklung hat die Vorstellungen über die traditionelle Rollenverteilung in der Gesellschaft verändert. Frauen arbeiten in den verschiedensten Bereichen der Wirtschaft, zunehmend besonders im Schul- und Gesundheitswesen, auf dem Gebiet der Sozialarbeit und der Dienstleistungen sowie in Handel und Industrie. Dies führte jedoch nicht zu gleicher Entlohnung oder höheren beruflichen Positionen.
Trotz der zunehmenden Beteiligung an der Gewerkschaftsarbeit in den letzten Jahren sind Frauen in den Leitungen kaum präsent. In den Parteien und in den Massenorganisationen, darunter die Gewerkschaften, kümmert man sich kaum um Frauenbelange.
Frauen sind außerdem in den Vorständen der politischen Parteien kaum vertreten. Im Parlament sind nur 6 von insgesamt 128 Abgeordneten Frauen, das sind 4,6 %. Bei den Gemeindewahlen 2004 wurden lediglich 7 Frauen – von insgesamt 943 Gemeinden – als Ratsvorsitzende gewählt. Alle Regierungen waren sich nach der Erlangung der Unabhängigkeit des Landes einig, dass Frauen keinen Ministerposten bekommen. Diese Regel wurde nur zweimal durchbrochen: Zwei Frauen wurden zu „Ministerinnen” gewählt. Jetzt haben wir nur eine Frau in der Regierung.
Das herrschende konfessionelle System hat zur Folge, dass in der Politik konfessionelle Interessen gegenüber nationalen Interessen Vorrang haben. So sichert das libanesische Proporzsystem allen anerkannten 19 Religionen eine ihrem Bevölkerungsanteil entsprechende Beteiligung in Regierung und Verwaltung zu. Das System basiert jedoch auf einer Volkszählung von 1932 und entspricht nicht den realen Verhältnissen. Es ist nur natürlich, dass so ein System ein ungerechtes Wahlgesetz hervorbringt, das sehr weit von der wahren Vertretung aller Schichten und Bereiche des libanesischen Volkes entfernt ist.
Nicht nur das politische System, sondern auch das Leben der Bürgerinnen und Bürger, ihr persönliches Verhältnis zueinander und die Familienbeziehungen sind davon beeinflusst. Zivilrechtliche Fragen zu Scheidung, Sorgerecht usw. werden durch 15 unterschiedliche Gesetzgebungen geregelt. Die Religionszugehörigkeit entscheidet darüber, welches Gesetz greift. Es gibt heute keine Zivilehe – die konfessionellen Bestimmungen der jeweiligen Religion gelten in allen strittigen Fällen.
Die Liga für die Rechte der libanesischen Frau fordert daher ein neues Ehe- und Familienrecht, das die Gleichberechtigung aller Bürgerinnen und Bürger sicherstellt, ohne Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Religion. Das ist die Grundbedingung für einen Rechts- und Verfassungsstaat.
Im Bereich der Frauenpolitik wurde inzwischen einiges erreicht: Unter anderem wurde gleiche Entlohnung und ein Entlassungsverbot der Frau während der Schwangerschaft im Jahr 2000 gesetzlich verankert. Bei der Sozialversicherung wurden 2002 gleiche Leistungen für weibliche und männliche Versicherte gesetzlich festgelegt. Wichtige Forderungen bleiben u. a. die Abschaffung des konfessionellen Systems, die Einführung eines demokratischen Wahlgesetzes mit der Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre und eine Mindestquote von 30 % Frauen in den Wahllisten.
Die libanesische Frauenbewegung
Die libanesische Frauenbewegung entstand, um die Diskriminierung und Erniedrigung der Frau auf den verschiedensten Ebenen zu bekämpfen. Die Frauenliga wurde vor 60 Jahren gegründet, 4 Jahre nach der Unabhängigkeit des Libanons im Jahr 1943. Sie arbeitet für die Berücksichtigung der Frauenfrage in allen Politikfeldern und betont, dass der Kampf um die Sache der Frau eine doppelte Dimension hat:
- Es geht um die Würde der Menschen, d. h. auch um Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit.
- Es geht um Gleichberechtigung, d. h. auch um gleiche Rechte und Pflichten. Die Gleichberechtigung ist ein Grundstein für jede demokratische Gesellschaft, die nach Gleichheit und Menschenrechten strebt. Die volle Entfaltung der Frauen ist der wichtigste Schritt auf dem Wege der Entwicklung des Libanons.
Die Libanesinnen spielten eine wesentliche Rolle im Kampf um die Unabhängigkeit. Der Sitzstreik der Frauen im Juli 1982 während der israelischen Blockade Beiruts stärkte die Ausdauer der Bevölkerung. Viele junge Frauen schlossen sich 1982 der libanesischen Widerstandsbewegung an, als der größte Teil unseres Territoriums einschließlich der Hauptstadt Beirut von Israel besetzt war. Bekannt wurde die Widerstandskämpferin Souha Bechara, die 1998 nach zehnjähriger Gefangenschaft befreit wurde.
Die libanesische Frauenbewegung spielte eine führende Rolle während der israelischen Aggression im Juli/August 2006. Wir haben das Schüren von konfessionellen Emotionen abgelehnt und Streiks, Demonstrationen und Pressekonferenzen organisiert.
Während des Krieges im Juli letzten Jahres war das Frauenzentrum der Liga für alle Kriegsopfer und Flüchtlinge geöffnet. Wir waren aktiv in drei Bereichen:
- Wir haben den sofortigen Stopp der Aggression und einen Waffenstillstand gefordert. Wir haben Briefe mit unseren Forderungen versendet, u. a. an den UNO-Generalsekretär, und jeden Tag vor dem UNO-Gebäude demonstriert.
- Wir haben die Internationale demokratische Frauenföderation und Frauenorganisationen in Europa um Solidarität gebeten.
- Wir haben drei Schulen betreut, in denen Flüchtlinge aus dem Libanon untergebracht waren. Und wir haben Programme (Theater, Tanz, Zeichnen) für die vom Krieg z. T. traumatisierten Kinder organisiert.
Unsere nächsten Aufgaben sehen wir u. a.
- in der Gründung einer internationalen Bewegung für die Respektierung der internationalen Vereinbarungen und der allgemeinen Menschenrechtserklärung;
- in der Verwirklichung der UNO -Beschlüsse. Es gilt zu unterscheiden zwischen dem Terror, den wir ablehnen, und dem Recht der Völker, gegen die Besetzung zu kämpfen;
- im Widerstand gegen die Einmischung der USA und die Neuaufteilung der Region entsprechend des Nahostplanes;
- in der Weiterführung des Kampfes für die Befreiung der von Israel besetzten Gebiete und die Freilassung der Gefangenen;
- in der Ablehnung der konfessionellen hasserfüllten Stimmung;
- in der Gewährleistung inneren Friedens als Schutz für die nationale Einheit;
- in der Abschaffung des konfessionellen Systems und der Einrichtung eines demokratischen und laizistischen Systems.