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Frühjahr 1/2024

Zukunft der Bewegung

Was heißt für dich Feminismus?“ Dem Neue-deutsche-Alphamädchen-Medienhype sei Dank, dass diese Frage heute wieder interessiert. Lange wurden Feministinnen in eine Schublade gesteckt, auf der zumeist nur „Alice Schwarzer“ stand. Dass es in der Frauenbewegung vielfältig, hoch spezialisiert, lebendig und überaus kontrovers zugeht, ist nun auch im Mainstream angekommen.

Die Alphamädchen nehmen Thea Dorn beim Wort und machen sich daran, das „Produktdesign des Feminismus“ zu renovieren. Ihre Haltung lässt sich so formulieren: „Weil sich so gar nichts tut in diesem Feld, nehmen wir jetzt endlich mal die Sache in die Hand.“ Ein wenig mehr Wertschätzung gegenüber all jenen, die sich schon Jahre engagieren, hätte es den Alphamädchen innerhalb der Szene(n) sicher einfacher gemacht. Nicht immer machen sie kenntlich, dass sie mit all dem, das sie als „neu“ bezeichnen, an Diskussionen anknüpfen, die seit Jahren schon fundiert geführt werden. In der Auseinandersetzung um vermeintlich „alten“ versus „neuen“ Feminismus geht es nur vordergründig um das Alter der Akteurinnen. Es geht um Inhalte, die schon seit Langem die Bewegung spalten.

Inhalte statt Etiketten

Sex sells. Aufgegriffen werden in den Medien bevorzugt Statements rund um Sexualität, Pornographie und Sexarbeit. Es geht den „neuen deutschen Alphamädchen“ aber auch um andere Dinge: „Mit Geschrei à la Alice Schwarzers „Der Islam ist der Faschismus des 21. Jahrhunderts“ verweigern Feministinnen ihren muslimischen Geschlechtsgenossinnen letztlich die Solidarität, anstatt ihnen einen Platz in einer Gesellschaft zu bieten, in der sie vor gewalttätigen und rachsüchtigen Männern, egal welcher Herkunft“ sicherer sind, heißt es bei den Autorinnen Haaf, Klingner und Streidl. Ein heißes Thema. Hensel und Raether schildern ihren Eindruck, Feminismus sei zum „Charity-Projekt“ verkommen. Das ist hart, legt aber den Finger in eine Wunde: Wann wird schwesterliche Solidarität zu mütterlichem Paternalismus? Wie können wir der Versozialarbeiterisierung der Bewegung entgegensteuern, jener Tendenz, Frauen eher als Klientinnen zu versorgen, anstatt zusammen mit ihnen den Aufstand zu proben? Ist es nicht viel einfacher, für Aktualität und Notwendigkeit des Feminismus zu argumentieren, indem frau alle Missstände, alle Brutalität, die Frauen widerfährt, vor Augen führt? Wo aber formulieren Feministinnen darüber hinaus ein radikales gesellschaftliches Projekt und wagen den Entwurf einer anderen Welt, für die es sich zu kämpfen lohnt? Wieso werden sie so wenig sichtbar?

Weder die Alpha- noch die neuen deutschen Mädchen sind Postfeministinnen. Sie tun alles andere, als das feministische Projekt für obsolet zu erklären. „Wir Alphamädchen“ ist ein Buch, das eine getrost der „kleinen Schwester“ schenken kann und hoffen darf, dass diese es auch liest. Das Buch kann ein Einstieg sein, ist aber nicht „der Weisheit letzter Schluss“. Zu vielen Themen bietet es einen prägnanten Überblick über den Stand der feministischen Diskussion, mitunter hilft es zu verstehen, woher wir kommen: dass zum Beispiel der kritische Diskurs über Sexualität, wie wir ihn heute kennen, angesichts massiver Gewaltverhältnisse entstand, bevor Missbrauch zum öffentlichen Thema wurde, und das zu einer Zeit, als Vergewaltigung in der Ehe noch „legal“ war. Und dass es immer noch viel zu tun gibt, sich manche Fragen – dank der Frauenbewegung! – aber auch verändert haben.

Die Steilvorlage nutzen

Raether und Hensel haben ein Stück Literatur geschrieben, kein Manifest. Sie sezieren Momente, in denen sie unmittelbar wahrnehmen, dass Frausein einen Unterschied macht. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Bedürfnisse zu formulieren und Intimität zu leben, Geld zu fordern und auszugeben, die eigene Meinung zu sagen und in von Männern kontrollierten Fachgebieten „zu wildern“.

Der Neue-deutsche-Alphamädchen-Feminismus holt die Teilnehmerinnen der „Generation Selbstoptimierung“ dort ab, wo sie stehen. Er setzt an beim Eigenen, am ganz konkreten Alltag. Die Autorinnen wissen um die Beschränktheit dieser Perspektive, keine tritt an mit dem Anspruch, „für alle zu sprechen“ – allenfalls für Frauen ihrer Schicht und ihres Bildungsstandes. Auch das hat Tradition. Die zweite Welle der Frauenbewegung zog ihre Kraft daraus, an das „Private“ anzuknüpfen, diese Perspektive als bedeutsame wertzuschätzen, Erfahrungen zu reflektieren und daraus eine Kritik und eine kämpferische Perspektive zu entwickeln. Die Frage war: „Und weil das so ist, was machen wir daraus? Und wenn wir ein anderes Miteinander und wirkliche Freiheit wollen, welche Welt braucht es dazu?“ Vielleicht lässt sich in diesem Sinne auch der Neue-deutsche-Alphamädchen-Feminismus als Steilvorlage nutzen, eher aufgreifend und weiterführend hin zu einer radikalen Perspektive, die auf Gerechtigkeit und Solidarität basiert.

Die Autorinnen der Alphamädchen suchen jedenfalls die Diskussion und laden auf ihrer Homepage www.maedchenmannschaft.net dazu ein: „Unser Blog soll Forum sein und Spielwiese, für alle, die sich eine bessere und gerechte Gesellschaft wünschen.“

Schade, dass sich Raether und Hensel dagegen in der erfolgreich angeheizten Schlammschlacht vom Feminismus immer wieder distanzieren. Auf ihre Verunglimpfung als „Wellness-Feministinnen“ (A. Schwarzer) kontern sie, die Frauenbewegung habe sich nie für Uneindeutigkeiten und Zwischentöne interessiert. Dabei wäre das Gegenteil schnell bewiesen und ein Austausch interessant. Die Frauenbewegung weiß mehr als manche andere, was es heißt, das „richtige Leben im falschen“ führen zu wollen. Auch das ist eine Stärke der Frauenbewegung: die Fähigkeit zur konstruktiven Selbstkritik. Das heißt, neben dem Kampf für die politischen Ziele immer auch die Arbeit an sich selbst einzufordern, Widersprüche zu reflektieren, sich am eigenen Anspruch zu messen, den eigenen Beitrag am Status quo zu hinterfragen, den Konsens nicht nur „da draußen“, sondern auch in der eigenen Küche zu kündigen und weitreichende Verweigerungsstrategien zu entwickeln.

Anschlussfähig und systemkonform

Der sogenannte „neue Feminismus“ sei anschlussfähig und systemkonform, kritisieren viele Feministinnen. Damit sind die neuen deutschen Alphamädchen in bester Gesellschaft. Unsere Kämpfe um selbstbestimmte Fruchtbarkeit, um Vereinbarkeit von Job und Familie, um Zugang zu den Chefetagen und in die Zentren der Macht, das ganze Feld der Identitätspolitik waren und sind wichtig. Aber unsere Erfolge laufen immer auch Gefahr, das System zu modernisieren und zu optimieren. In Sachen Vereinbarkeit haben „wir“ z. B. ausgerechnet in Unternehmensberater Roland Berger einen Mitstreiter gefunden. Der findet es ökonomisch skandalös, eine so wertvolle Humanressource wie gut ausgebildete junge Frauen brachliegen zu lassen. Es liegt in der Logik des Systems, dass ungezügelte Fruchtbarkeit als „asozial“ gebrandmarkt wird und Frauen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht haben, ihre Fruchtbarkeit effizient zu „terminieren“, zu „managen“ und ein bestmöglich optimiertes „Produkt“ zu liefern. Die Teile der Frauenbewegung, die sich noch als radikal verstehen, wissen um dieses Dilemma.

Vor diesem Hintergrund: Was sind die Eckpunkte eines Feminismus, der eine wirklich freie Gesellschaft träumt und über den Tellerrand des Bestehenden hinausdenkt?

Was wollen wir antworten, wenn morgen wieder jemand fragt: „Was heißt für dich Feminismus?“

Frigga Haug stellt mit der Vier-in-einem-Perspektive ein Konzept vor, das darauf zielt, Arbeit, Produktivität und gesellschaftliche Arbeitsteilung komplett neu zu denken und zu organisieren. Antje Schrupp benennt Herausforderungen, die sich der Frauenbewegung heute stellen. Ricarda Paliwoda analysiert die Umverteilung von Haushaltsmitteln zulasten von Frauenpolitik in Hessen und macht deutlich, dass es auch zukünftig darum geht, Erreichtes zu bewahren und Rückschritte zu verhindern. Isolde Aigner geht der Frage nach, wie dem Neokonservatismus das Wasser abzugraben ist, und Gabriele Bischoff stellt die Ladyfeste vor. Sonja Klümper sprach mit Irina, die sich in Rumänien in der anarcha-feministischen Gruppe „Lovekills“ engagiert. Gisela Kessler bilanziert, wo Frauen in der Gewerkschaft heute stehen, und erklärt, warum Klassen- und Geschlechterfragen miteinander verzahnt werden müssen.

Melanie Stitz

Inhalt dieser Ausgabe

Das verknüpfte Quartett

Für eine gerechte Zeitverteilung ist Frigga Haug

Fünf Punkte für die Zukunft der Bewegung

legt Antje Schrupp kenntnisreich vor

An Hessen führt kein Weg vorbei?

Die Folgen brutalstmöglichen Sparens stellt Ricarda Paliwoda vor

„Ein Gesetz braucht einen Geist, der es erfüllt“

Isolde Aigner geht gegen Neokonservatismus vor

Liebe tötet – auch in Osteuropa

Interview einer rumänischen Aktivistin von Sonja Klümper

Ladyfeste: antisexistisches und feministisches Handeln

Zusammengestellt von Gabriele Bischoff

Krieg und Frieden


Beduininnen: ein anderes Wort für „Armut“

Unaufgeklärte Frauenmorde in Ciudad Juarez

Projekte


Frauenblasorchester Berlin

Kultur


Zur Erinnerung an Nan Hoover

Zum Geburtstag von Katharina Mayer

Kommentar


Alle reden vom Fußball – wir auch

Eros & Klerus: Wie sich das Zölibat auf Frauen auswirkt

Herstory


Zur Erinnerung: Helene Radó-Jansen

Überall Licht und Schatten: Annemarie Schwarzenbach

Gesehen


Herrschaftstechniken

Kom!ma – Kurzfilmnacht: Female Short Cuts

Daten und Taten


Sor Juanes Inés de la Cruz, Marianne Brandt

Außerdem

Korinthe: Wie entsteht eigentlich Heterosexualität?

Hexenfunk

gelesen