Weibliche Kunst – Oder: Das Können der Künstlerinnen
Kunst kommt von Können, eng angelehnt an Wissen, Weisheit, Kenntnis und Wissenschaft. Bereits im Mittelalter wurden die sieben freien Künste an den Universitäten gelehrt – waren also Männern vorbehalten.
Erst seit dem 18. Jahrhundert bezieht sich Kunst speziell auf die künstlerische Betätigung des Menschen, auf die schöpferische, gestaltende Umsetzung von subjektiven inneren und äußeren Erfahrungen, auf die Darstellung und den Ausdruck von objektiven Sachverhalten, Gegenständen, Personen und auf Entwürfe von Veränderung (nachzulesen im „Weiberlexikon“ von Florence Hervé und Renate Wurms).
Als weitere Grundlagen der Kunst gelten Einbildungskraft (Imagination), Vorstellungsvermögen (Fantasie) und schöpferische Kraft (Kreativität). Gerade die Kraft des Eigen-Schöpferischen wurde Frauen lange abgesprochen. Der Begriff des „Genius“ oder „Genies“ wurzelt sprachlich in der männlichen Zeugungskraft und ist assoziiert mit der Idee vom selbstverständlich männlichen Künstler, unantastbar und klassenlos. Frauen waren willkommen als Musen und Motive, bevorzugt nackt und gern als „schöne Leiche“. Oder, eine kleine Anekdote aus der Welt der Kunst, später auch schon mal als williger Pinsel: 1960 wies Ives Klein nackte Frauen an, sich mit blauer Farbe zu beschmieren und gemäß seiner Direktiven auf einer riesigen Leinwand zu wälzen – während er selbst im makellosen schwarzen Anzug daneben stand.
Die Mechanismen von Kunstmarkt und Kunstkritik, von Geschichtsschreibung und Kanonbildung schlossen Frauen systematisch aus. Doch 1976 schlugen Linda Nochlin und Ann Sutherland Harris ein neues Kapitel der Kunstgeschichte auf: In ihrer Ausstellung „Women Artists 1550-1950“ erbrachten sie den Beweis, dass es seit dem Spätmittelalter sehr wohl jede Menge Künstlerinnen gegeben hat, die jedoch geflissentlich unterschlagen wurden.
Und die Guerilla Girls, die stets mit Gorilla-Maske auftreten und sich jeweils den Namen einer verstorbenen Künstlerin zum Pseudonym gewählt haben, mischen mit Witz und Biss bis heute die Kunstszene auf und kritisieren auch in anderen Lebensbereichen Sexismus und Rassismus, nicht zuletzt in Filmindustrie und Musik-Business. 1999 schufen sie z. B. den ersten „anatomisch korrekten Oscar“, der endlich so aussieht wie die weißen Kerle, die ihn normalerweise gewinnen.
Ihren ersten genialen Coup landeten sie 1985. Da zählten sie Künstlerinnen und Künstler im New Yorker Museum of Modern Art: Unter den 169 ausgestellten Künstlern waren nur 13 Künstlerinnen. Ausnahmslos alle 169 waren weiß und entweder aus Europa oder den USA. Immerhin: Frauen stellten etwa 85 % der auf den Bildern verewigten Nackten und gelangten zumindest auf diese Weise ins Museum … In ihrem „Art Museum – Activity Book“ schlagen die Guerilla Girls Zählaktionen wie diese und andere witzige, kreative Maßnahmen vor, mit denen Frau dem Kultur-Establishment den Spiegel vorhalten kann.
Frauen und Menschen schwarzer Hautfarbe wurden über Jahrhunderte (und auch heute noch) die gleichen Chancen vorenthalten, in „unserer“ Kultur Künstler_in zu werden. Dennoch gab und gibt es zahlreiche überraschende Ausnahmen. Doch selbst diese wurden von den Museen zurückgewiesen und aus den Geschichtsbüchern gestrichen, lautet ein Fazit der Guerilla Girls.
Keine Frage, in der Geschichte der Kunst gibt es viele Künstlerinnen (wieder) zu entdecken. Ihre Geschichte wird heute weltweit erforscht und in den internationalen Frauenmuseen gezeigt.
Wir stellen Gegenwarts-Künstlerinnen vor, die mit unterschiedlichen Medien arbeiten wie Comic, Musik oder Tanz, aber auch eine Schriftstellerin aus der Zeit des Expressionismus ist mit dabei. Beim Erstellen dieser Ausgabe haben wir mit viel Freude aus einer großen Fülle von Künstlerinnen geschöpft, die uns begeistern, inspirieren und herausfordern. So nähert sich Sonja Klümper im Gespräch mit der Comiczeichner_in trouble x den Themen Toleranz, Respekt und kritische Auseinandersetzung. Das Gespräch haben wir in Absprache mit trouble x abgedruckt, die Zeichensetzung ist insofern individuell und gewollt, ganz im Sinne ihres Ziels: menschen in verschiedenen bereichen zu sensibilisieren und im besten sinne zu „aktivieren“.
Britta Hoffarth als one-person-Musikprojekt „Stockholm“ verrät Elena Bütow im Interview, was es für sie bedeutet, queere Musik mit dekonstruktiven Texten zu machen, und warum sich bestimmte Räume für diese Musik besser eignen als andere.
Die expressionistische Dichterin Paula Ludwig schrieb einmal: „Bitte: auf Lebenslauf verzichten! Mein Leben war viel zu großartig (verhältnismäßig), als daß ich es in kurze Formeln bringen könnte.“ Christiana Puschak stellt sie uns vor.
Isolde Aigner kann nicht verleugnen, dass sie die Sängerin Judith Holofernes für die begnadetste deutschsprachige Songwriterin hält, und Bettina Bab freut sich auf die Ausstellung „Frauenpower rund um den Globus“ im Bonner Frauenmuseum. Vera Paul nähert sich im Gespräch mit der Choreographin, Tänzerin und Performerin Michèle Murray dem Tanz und seiner Bedeutungsveränderung in den vergangenen Jahrhunderten.
Schließlich holt Illustratorin Eva Schwingenheuer die Burka als „kleines Schwarzes“ ins Zentrum des Humors. Mit dieser Auswahl von kreativen und fantasievollen Künstler_innen wollen wir Lust auf Kunst machen. Denn: In jeder Frau steckt eine Künstlerin!
Mechthilde Vahsen, Melanie Stitz, Gabriele Bischoff
Inhalt dieser Ausgabe
Comics wider die Erwartung
Sonja Klümper stellt trouble x vor
Stockholm: Mädels, gründet Bands
Elena Bütow hörte der Musikerin zu
Paula Ludwig: „obdachlose Dichterin“ und Malerin
Christina Puschak erzählt von einer vergessenen Dichterin
Judith Holofernes – die den „Schmerz“ der Zeit trifft
Isolde Aigner im Gespräch mit der Songwriterin
Frauenpower rund um den Globus
Bettina Bab freut sich auf die Ausstellung im Frauenmuseum
Tanz – Körper – Gender – Identitäten
Vera Paul im Gespräch mit Michèle Murray
Entdecke die Möglichkeiten
Eva Schwingenheuer entdeckt den Humor der Burka
Krieg und Frieden
Kurznachrichten
Frauen in Vietnam
Dokumentation aus Honduras
Projekte
Die Feministische Einzelkämpferinnen Gruppe
Kultur
Nachruf auf Elly Steinmann
Kommentar
Säkularisierung – Befragung von EU-KandidatInnen
Anarcha-Feminismus auf Lesetour
Herstory
Der Aufstand der Frauen von Carrara
Daten und Taten
Margaret Atwood / Dorothee Sölle
Außerdem
Korinthe: Sexismus und Rassismus per Drink!
Hexenfunk
gelesen