Stadtplanung
Arbeit, Wohnen und Erholung – 3 Paar Schuhe? Die Wohnung und ihr Umfeld sind Orte der Erholung nach der Arbeit, in anderen Worten: der Nicht- Arbeit. So dachten viele Städteplaner der Nachkriegszeit und trennten die Lebensbereiche Arbeit,Wohnen und Erholung räumlich voneinander ab. Dabei wurde übersehen, was ohnehin gern übersehen wird:Die Haus- und die Erziehungsarbeit. Die Wohnung ist ein Arbeitsplatz, an dem vor allem Frauen schaffen,nicht selten zusätzlich zur Lohnarbeit. Das Wohnungsumfeld gehört zum Arbeitsplatz dazu.Selbst im „Naherholungsgebiet Parkanlage“ sieht man wochentags vor allem Frauen bei der Arbeit: Sie schieben Kinderwagen, sie beaufsichtigen und erziehen den Nachwuchs auf dem Spielplatz.
Der tägliche Weg einer Hausfrau und Mutter hat etliche Stationen: den Kindergarten oder die Schule, halbtags noch ins Büro, danach zum Bäcker und zum Supermarkt, die Kinder müssen noch zum Flötenunterricht usw. Da ist es hilfreich,wenn möglichst viel auf einem Weg erledigt werden kann. Die Städteplanung der Nachkriegszeit, geprägt von den Theorien der „funktionalen Stadt“, schuf jedoch Städte, die einem Bewegungsmuster Rechnung tragen, wie es sich eher bei Männern finden lässt: Morgens zur Arbeit fahren und auf dem Rückweg eventuell noch im Baumarkt vorbei. Monostrukturen sind das Ergebnis: Mega-Märkte im Industriegebiet,sogenannte Schlafstädte am Stadtrand, reine Büroviertel usw.
Feministische Stadtplanung
Ende der 70er Jahre machten Frauen sexuelle Gewalt zum Thema und eroberten sich, erstmalig am 30. April 1977, lautstark feiernd und demonstrierend „die Nacht zurück“. Neben dem abgegrenzten Privatraum, der sich der sozialen Kontrolle entzieht, machten sie den öffentlichen Raum als Tatort von Männergewalt publik. An Haltestellen, auf öffentlichen Plätzen und Parkbänken: Hier nehmen Männer raumgreifend Platz. Selten zu sehen: Eine einzelne Frau, die lässig an einem Laternenpfahl lehnt und entspannt das Treiben auf der Straße beobachtet. Frauen benötigen eher als Männer einen legitimen Grund zum Aufenthalt, ein „Durchgangsvisum“, um unbehelligt zu bleiben.
Sicherheit wurde zunehmend zum Thema in Forschung und Planungspraxis. Feministinnen zielten dabei mit ihrer Kritik auf das von ungleicher Macht bestimmte Geschlechterverhältnis. Die „frauenfreundliche“ Stadtplanung verkam jedoch oftmals zur Symptombekämpfung und erschöpfte sich in pragmatischen Lösungen, wie z. B. besserer Beleuchtung und Frauenparkplätzen. Frauen wurden als schutzbedürftige „Ausnahme-Benutzerinnen“ verstanden. Auch die Sprechweise änderte sich: Aus „Tatorten“ wurden „Angsträume“,die es galt, „erträglicher“ zu machen. Die Frage der Sicherheit wurde zunehmend psychologisiert und dadurch politisch entradikalisiert.
Seit den 80er Jahren orientiert sich „frauengerechte“ Architektur und Stadtplanung am realen Alltag von Frauen und argumentiert für wohnortnahe Dienstleistungsangebote und Arbeitsplätze für Mütter. Ein Ansatz,der das Risiko birgt,die bestehende Arbeitsteilung zu reproduzieren.
Seit den 90er Jahren wird feministische Architektur und Stadtplanung immer offensiver:Wie muss der öffentliche Raum gestaltet sein, um Frauen das gleichberechtigte Raumgreifen zu ermöglichen? Wie kann Architektur emanzipatorisches Handeln fördern? Konkret reichen die Fragen von „Wie muss eine Küche gestaltet sein, damit zwei Personen darin partnerschaftlich arbeiten können?“ bis hin zu „Wie müssen öffentliche Plätze gestaltet sein, damit dort viele unterschiedliche Aktivitäten möglich sind und niemand von vornherein ausgegrenzt wird?“ Das beginnt schon auf dem Spielplatz: Gibt es neben Fußballfeld und Klettergerüst, die vor allem von Jungen genutzt werden, auch Möglichkeiten zum Ballspielen gegen die Wand, Schaukeln und Platz für Gummitwist, jenen Spielen, die häufiger von Mädchen gespielt werden?
Zunehmend gewürdigt wird dabei,dass sich die Lebenswelten von Frauen immer stärker ausdifferenzieren. Frauengerechte Planung muss also der Vielfalt Rechnung tragen – so entstehen Konzepte,von denen nicht nur Frauen profitieren.
Frauen als Expertinnen
Frauen sollten als Laienexpertinnen stärker einbezogen werden, so Barbara Martwich.Wenn nämlich jemand beurteilen kann, ob ein Stadtteil zum Leben taugt, dann sind es Frauen,weil sie das unmittelbare Wohnumfeld meist zu Fuß und damit intensiver nutzen als Männer. Nicht selten gleichen sie mit Kreativität und Organisationstalent sogar die infrastrukturellen Defizite eines Viertels aus, indem sie z. B. Stadtteil- und Dorffeste organisieren,Angehörige pflegen und in der Nachbarschaft den Fahrdienst zum Kindergarten abstimmen. Banken schätzen den Wert eines Hauses übrigens geringer, wenn – z. B. nach einer Scheidung – keine Frau mehr darin wohnt. Aus diesen Gründen werden Frauen immer öfter als Architektinnen, Anwohnerinnen und mögliche Nutzerinnen neuer Stadtteile gehört. So geschehen auch beim Großprojekt „Zeche Zollverein“ in Essen, die den Anforderungen des Medienzeitalters gemäß umgebaut werden sollte. Bei Kaffee und Kuchen, im Rahmen eines „Workshops“, wurde der Gestaltungsprozess „gender-mainstreamed“. In anderen Worten:„weibliche“ Erwartungen und Anregungen sollten abgeholt werden.Tatsächlich aber fand der Workshop statt, nachdem bereits fast alle relevanten Entscheidungen getroffen waren. Warum noch die Veranstaltung? Gender-Mainstreaming ist mittlerweile zur Voraussetzung geworden, um europäische Fördergelder zu erhalten…
Mobilität
Deutlich mehr Männer als Frauen nutzen das Auto als Verkehrsmittel. Und zufälligerweise sind Autofahrer vielerorts im Vorteil. Die großen Einkaufszentren im Industriegebiet sind gut mit dem Auto, kaum aber mit öffentlichen Verkehrsmitteln, geschweige denn zu Fuß zu erreichen. Bordsteinabsenkungen vor jeder Garageneinfahrt erlauben dem PKW, sanft auf die Fahrbahn zu gleiten. Dagegen muss manch ein Kinderwagen oder Rollator an der Straßenecke mühsam hinab und hinauf gewuchtet werden.Maria Spitthöver merkt an, dass Frauen,obwohl sie häufiger zu Fuß unterwegs sind, seltener als Männer zum Verkehrsopfer werden. Vermutlicher Grund:Frauen verhalten sich defensiver im Straßenverkehr. Männer neigen stärker dazu, forsch auf die Fahrbahn zu treten,um ihre Rechte als Fußgänger zu demonstrieren und Autofahrer zum Bremsen zu zwingen. Vor allem aber sind Kinder im Straßenverkehr gefährdet. Und wer begleitet folglich wochentags den Nachwuchs zum Spielplatz, zur Spielgefährtin, zum Sportverein?
Noch etwas stimmt nachdenklich: In San Francisco wurden Menschen gefragt, bis wohin sich räumlich gesehen ihr persönliches Zuhause erstreckt.Nicht über die eigene Wohnung hinaus reichte die Vorstellung von „Zuhause“ bei den AnwohnerInnen einer Straße mit hoher Verkehrsbelastung. Für sie begann der „fremde“ Raum direkt vor der Haustür. Die vielbefahrene Straße wirkte als soziale Barriere. Anders fielen die Ergebnisse in verkehrsarmen Straßen aus. Der Straßenraum wurde als zugehörig erlebt, die AnwohnerInnen hatten im Durchschnitt doppelt so viele Freunde und Bekannte in der Nachbarschaft und fühlten sich in einem weitaus größeren Radius „heimisch“.
Was Frauen wollen
Frauen- und damit menschengerechte Stadtplanung beinhaltet unter anderem
- Arbeitsplätze in Wohnungsnähe.
- kurze Wege zum Einkauf, zum Arzt, zur Post, zu Kindergarten und Schule usw.
- Fußgängerinnenfreundliche Straßen, auf denen Kinder sich auch ohne Aufsicht sicher bewegen können.
- einen öffentlichen Nahverkehr, der bequem, sicher, preiswert und flexibel ist.
- Ein lebendiges Wohnumfeld, in dem soziale Kontakte geknüpft und gepflegt werden können.
Immer mehr Frauen realisieren ihre Wünsche in Eigeninitiative – als Architektinnen, als freie Baugemeinschaft,im Verein. Exemplarisch dafür stellt Adi Hübel in dieser Ausgabe die Ideenwerkstadt Frauen gestalten Ulm vor und die Frauen vom Verein Bella Donna berichten über das Haus von Frauen in Oldesloe. Ulrike Mattern erzählt vom Sichtbarmachen weiblicher Identität im urbanen Raum und damit vom ersten feministischen Projekt,das teilnimmt an der Leistungsschau der europäischen Kulturstädte.Viele Frauen stellen wir diesmal vor, die Städten und Räumen Gestalt gegeben haben:Doris Heeger schreibt über Architektinnen und Marianne Hochgeschurz porträtiert Gesine Weinmiller, die unter anderem die Villa des Bundespräsidenten neu gestaltete. Über die Künstlerin Azade Köker berichtet Elke Boumans-Ray.
Melanie Stitz
Inhalt dieser Ausgabe
ideenwerkstadt Frauen gestalten Ulm
Adi Hübel
Von der Frankfurter Küche, einem brasilianischen Glashaus und dem urbanen Teppich
Wie Frauen bauen – Eine Auswahl
Doris Heeger
„BELLA DONNA“
Ein neues Haus von und für Frauen in Bad Oldesloe
Azade Köker
temporäre Kunst im Stadtraum
Elke Bouman-Ray
Die Superfrauen aus Graz
Ulrike Mattern
Gesine Weinmiller
Marianne Hochgeschurz
Kurzinfos zum Thema
Zukunft braucht Vergangenheit – Zukunft braucht uns Frauen
2. Kongress internationaler Frauen
Elke Bouman-Ray
Andere Länder
Zwangssterilisierungen von Roma-Frauen in der Slowakei
Sladjana Drobnjak
Gewaltfreies Handeln
Interview mit Ferda Ülker
Interview: Gabi Rohmann
Hormonersatztherapie
Fluch oder Segen?
Sonja Vieten
Herstory
Etty Hillesum
Frits Grimmelikhuizen, Deventer, Niederlande
Aline Rosenbau
Florence Hervé
Kultur
Das Polittbüro der Hamburger Kulturmafia gibt sich die Ehre
Birgit Gärtner
Die Filmemacherin Merle Kröger stellt ihren ersten Krimi „Cut“ vor
Birgit Gärtner
Daten und Taten
Ruth Landshoff-Yorck und Tisa von der Schulenburg
Jessica Puhle
Außerdem
gesehn
gehört
gelesen