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Frühjahr 1/2024

SPORTS-FRAUEN

Alerorts herrscht Fußballfieber: Da sind wir schon Papst, nun kommt noch die WM. Zufall oder Zusammenhang, dass der nationale Chauvinismus wieder Blüten treibt? Einbürgerungstests, die implizit definieren, was deutsche „Leitkultur“ zu sein hat – „Integrationsunwilligkeit“ soll zum Straftatbestand werden, fordern jene, die zeitgleich die Mittel für Sprachkurse kürzen – BILD bläst einmal mehr zur Hatz auf MigrantInnen und ihre Kinder, die mal wieder an allem schuld sind – Neonazis morden wieder. Sonja Klümper widmet sich den Schattenseiten der WM: Nationalismus, Sicherheitspolitik zu Lasten der BürgerInnenrechte und Zwangsprostitution. Gabriele Bischoff kommentiert den Dokumentarfilm „Fußballgöttinnen“; sie stand selbst lange als Fan in der Kurve, bis Fan-Rassismus ihr den Spaß verdarb.

Der Deutsche Frauenrat konnte viele MitstreiterInnen für ein breites Bündnis gegen Zwangsprostitution im „Rahmenprogramm“ der WM gewinnen – Offene Türen rannten sie beim DFB nicht gerade ein… So auch nicht Erni Friholt, Vorsitzende des linken schwedischen Frauenverbandes. Sie und ihre Mitstreiterinnen verlangten vom schwedischen Fußballverband und der FIFA, sich gegen zu erwartende Zwangsprostitution und Menschenhandel auszusprechen. Zur Antwort hieß es, der Verband sei nur für den Sport zuständig und ansonsten „politisch neutral“. Claes Borgström, Ombudsmann für Chancengleichheit, schlug daraufhin vor, die WM konsequent zu boykottieren. „Als gäbe es ein Menschen- oder besser: Männerrecht auf Autofahren, Fußballgucken und Bordellbesuche!“, kommentierte er die Diskussion, die sich an seinem Vorschlag entzündete.

Jenseits der WM widmen wir uns auch dem Sport im Alltag. Barbara Obermüller macht im Darmstädter Stadtparlament für die Feministische Partei DIE FRAUEN Politik und rechnet vor, welche Schieflage bei der Verteilung von Sport-Fördermitteln für Frauen und Männer herrscht. Heidi Scheffel diskutiert die Vor- und Nachteile getrennten Sportunterrichts.

Einst gebot es der „Anstand“: Frauen sprinteten in Pumphosen und radelten im Kleid. Es war die amerikanische Frauenrechtlerin Amelia Bloomer (1818-94), die Hosen für die Radfahrerin erfand. Lange mussten sich ihre Trägerinnen gegen Beschimpfungen und tätliche Angriffe behaupten. Und heute? Die nackte Haut ist in vielen Sportarten zur Pflicht geworden. „Die Sportlerinnen posieren wieder nackt und provozierend. Ich glaube, diese Athletinnen nehmen sich selbst nicht ernst. Sie sagen eben nicht: „Hey, ich bin eine großartige Sportlerin mit tollen Fähigkeiten, und ich will, dass ihr mich deswegen anschaut!“ Okay, wenn ihr schön seid, zeigt das ruhig. Aber lasst euch nicht sexualisieren!“ riet Martina Navratilova ihren Kolleginnen 2002. Motorrad-Rennfahrerin Katja Poensgen sagt ganz klar: „Ich will als Rennfahrerin berühmt werden und nicht mit Oben-ohne-Fotos.“ 1992 erklärte der Leiter des ARD-Teams unverhohlen, warum bei der Fußball-EM keine Reporterin im Einsatz war: „Wenn im Fußball eine Frau Fuß fassen will, dann muss sie nicht nur mindestens so gut sein wie ihre männlichen Kollegen. Sie muss darüber hinaus auch noch sehr hübsch sein. Sonst können wir sie nicht auf den Bildschirm lassen.“

Mit der Sexualisierung von Frauenkörpern im Sport befasst sich Gabriele Bischoff.

1996 traten bei der Olympiade 26 Länder ohne Sportlerinnen an. Dennoch und wider alle Hindernisse: Frauen im Sport erzählen immer wieder Geschichten von Hartnäckigkeit, Leidenschaft und großen Erfolgen. Mit in diesem Heft: ein Interview mit der Boxerin Susi Kentikian. Florence Hervé porträtiert Extremsportlerin Francine Moreillon, die auf dem Snowboard über die Berghänge prescht.

Umso mehr erschreckt uns die Nachricht, dass die ehemalige Schweizer Skirennfahrerin Corinne Rey-Bellet (* 2.8.1972 in Les Crosets/Wallis) und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder am 30.April erschossen wurden. Dringend verdächtig sei der Ehemann, sagte die Walliser Kantonspolizei. Corinne Rey-Bellet konnte insgesamt fünf Weltcuprennen gewinnen. Ihren größten Erfolg feierte sie bei der Ski-WM 2003 in St. Moritz, als sie in der Abfahrt Vizeweltmeisterin wurde. Ihre persönliche Website wurde zum Kondolenzbuch umfunktioniert: www.rey-bellet.com

Melanie Stitz

 

Inhalt dieser Ausgabe

Mehr als gemeinsam oder getrennt

Mädchen und Jungen im Sportunterricht

Heidi Scheffel

Deutschland – Menschenrechte 3:0

Schattenseiten der WM

Sonja Klümper

Von normalen Fußballgöttinnen

Kommentar zum Film

Gabriele Bischoff

Männer kosten mehr

Ungleichgewichte bei der Sportförderung

Barbara Obermüller

Die Modell-Spielerin

Die Sexualisierung des Frauenkörpers

Gabriele Bischoff

„Bekannt werden, Geld verdienen

Die Boxerin Susi Kentikian

Cristina Fischer

Francine Moreillon

Portrait der Extremskiläuferin und dreifachen Weltmeisterin

Florence Hervé

Infos zum Schwerpunkt

 

Andere Länder


Eine andere Welt ist möglich – auch wenn es nicht danach aussieht!

Bericht vom Weltsozialforum in Mali

Gabriele Riedl

 

New Profile

Eine gewaltfrei-feministische Organisation in Israel

Christiane Gerstetter

„Mindestens jeden Tag ein Fall“

Feminizid in Guatemala

Sonja Vieten

 

Kurzinfos

 

Projekte


Wir wollen das Rad nicht neu erfinden, sondern nur bewegen

Der erste deutsche Erfinderinnen-Club

Mechthilde Vahsen

25 Jahre Terre des Femmes

Wachstumskrisen

Gabriele Bischoff

 

30 Jahre globale Anwartschaft für Frauen

Der United Nations Development Fund for Women

Eva Voss

 

Kultur


Gedichte von Margot Schroeder

 

Das Ende der „Sprachodyssee“

Hilde Domin (1909-2006)

Margret Karsch

 


 

Kommentare/Diskussion

Wo ist das ganze Geld?

Gabriele Gillen

 

Herstory

Gertrud Koch: Edelweiß

Meine Jugend als Widerstandskämpferin

Mithu M. Sanyal

 

Daten und Taten

Joséphine Baker und Sophie Brahe

Cristina Fischer

 

Außerdem

gelesen