GIRLPOWER
Ausgabe 2/2019
Weibliche Jugendliche haben heute unzählige Möglichkeiten und Rechte ihr Leben unabhängig und frei zu gestalten – laut Frauenforscherin Ute Gerhard eine wichtige Errungenschaft der Neuen Frauenbewegung. Jene Möglichkeiten sind aber mit verschiedenen Herausforderungen verbunden. Viele Mädchen haben das Gefühl, in Zukunft alles (Berufs- sowie Familienleben) unter einen Hut bekommen zu müssen. Marc Calmbach und Gudrun Debus, die eine Jugendstudie zu gleichstellungspolitischen Themen (2013) durchgeführt haben, erklären, dass hieraus ein „aus umfassenden Geschlechterbildern erwachsener Leistungsdruck“ entstehen kann, der aber allzu oft mit Selbstverwirklichung verwechselt werde.
Darüber hinaus bestehen traditionalistische Rollenzuschreibungen weiter. Calmbach und Debus fanden heraus, dass sich die Jugendlichen eine Partnerschaft mit eigenen Kindern nur in Form eines traditionellen Geschlechtermodells vorstellen. Für Calmbach und Debus stehen die Studienergebnisse jedoch weniger für einen mangelnden Gleichstellungswillen als für das Fehlen von Auseinandersetzungsräumen und Informationen zu diesen Themen.
Die Praxis zeigt: Fühlen sich Jugendliche handlungsfähig und wirkmächtig, dann setzen sie sich intensiv mit (geschlechter-)politischen Themen auseinander und werden aktiv gegen Sexismus und sexuelle Belästigung oder für LGBTI-Rechte.
Mehrfachbenachteiligung mit fatalen Folgen
Nach der Pädagogin Claudia Wallner fühlen sich von Armut betroffene weibliche Jugendliche oft allein gelassen. Sie haben gleichzeitig noch Zusätzliches zu schultern, um ihr soziales Umfeld zu stützen, denn die Verantwortung für Sorgearbeiten wird noch immer vor allem Frauen zugeschrieben. Sie sind außerdem einem höheren Risiko sexualisierter Gewalt ausgesetzt.
Queere Jugendliche sind zudem homophoben Diskriminierungen ausgesetzt und müssen in einer heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft neben den Herausforderungen des Erwachsenwerdens zusätzlich die des „Anders-Seins“ bewältigen.
Jung, politisch, bewegt: lebensweltorientierte politische Teilhabe
Die Politikwissenschaftlerin Bettina Lösch erklärt, dass junge Menschen alltags- und lebensnah politisch denken und handeln – aktuell zeigt sich das z.B. daran, wie sich Jugendliche mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzen. Institutionelle Politik wird von Jugendlichen hingegen oftmals als abschreckend und langweilig empfunden, was jedoch auch für die meisten Erwachsenen gilt. Politische Teilhabe ist allerdings von Machtgefällen und Ungleichheiten durchzogen, wie z.B. mangelnde Gleichberechtigung. Auch Jugendliche mit Migrationshintergrund werden in ihrer politischen Teilhabe weniger anerkannt. Jungen Musliminnen wird oft die (politische) Selbstbestimmung abgesprochen – obwohl sich z.B. in Solingen zeigt, wie sie sich miteinander solidarisieren und zusammen gegen Rassismus engagieren.
Umso notwendiger ist es, dass weibliche Jugendliche aus unterschiedlichen Zusammenhängen zusammenkommen, so dass Privilegien reflektiert und unentdeckte Möglichkeiten und Potentiale freigelegt werden, um sich gemeinsam zu ermächtigen für ein mutiges, solidarisches und selbstbestimmtes politisches Handeln.
(aus der Einleitung)
Inhalt dieser Ausgabe:
Schwerpunkt: GIRLPOWER
Einleitung: Girlpower… und die Herausforderungen auf dem Weg zu einer gerechteren Zukunft
von Isolde Aigner
„Riot Grrrls never die, every girl is a Riot Grrrl!“
von Daniela Weißkopf
Welcome to diversCITY!
von Kathrin Schultz
Was machen Medien mit Mädchen und was machen Mädchen mit Medien?
von Tina Berntsen
Junge Frauen, die bewegen!
von Isolde Aigner
Echte Mädchen*-Arbeit: Die Hollies vom Holla e.V.
Meine feministische Wahrheit
Widersprüche und Ambivalenzen – Rede zum Dyke-Marsch 2018 in Köln
von Birgit Palzkill
Krieg & Frieden
Frauen-Empowerment in Indien
von Derin Malka
Für ein würdevolles, freies Leben – Hungerstreik gegen die Isolation
von Cenî e.V.
WHO CARES?! Kämpfe um Reproduktion und Gewerkschaftsarbeit
Die IG Metall-Frauen streiten für mehr Gerechtigkeit
von Katharina Volk
Herstory
Vor 85 Jahren: Internationaler Frauenkongress gegen Krieg und Faschismus in Paris
von Florence Hervé
Projekte
Mädchen sind kein Sexspielzeug
von Lena Reiner
Kultur
Migrant Mamas
von Lena Reiner
Gesehen
Eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora
Das Fahrrad
von Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel
Ein neues Standardwerk: Das Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung
von Mechthilde Vahsen
Daten und Taten
Maria Luise Weissmann / Hedy Epstein, geb. Wachenheimer