Frauen Macht Politik
Im 19. Jahrhundert etablierten sich die zentralen bürgerlichen Institutionen. Von diesen wichtigen Arenen politischen Handelns waren Frauen per Gesetz ausgeschlossen. Wollten sie Einfluss nehmen, blieb ihnen kaum mehr, als eine strategische Ehe zu schließen und ihre Interessen mit subtilen Mitteln durchzusetzen, die bis heute gerne als „weibliche Waffen“ bezeichnet werden. Industrialisierung und Verstädterung trugen dazu bei, das Prinzip der Arbeitsteilung fest zu verankern. Der Ausschluss von Frauen wurde ideologisch flankiert, die Idee der „getrennten Welten“ setzte sich durch. Es existiere, so die bürgerliche Ideologie, als quasi-natürliche Notwendigkeit eine Welt der Männer und eine Welt der Frauen, gänzlich unvereinbar, bestimmt von grundverschiedenen Prinzipien und unterschiedlicher Moral. Die Welt der Frauen seien Heim und Familie, hier tanke der Mann auf, der sich „draußen“ in Sachen Geist, Krieg oder Wissenschaft bewähren müsse. Für diese „kalte“ Welt sei die Frau nicht gemacht, hier entfremde sie sich von „ihrer Natur“.
Unserer Kultur sitzt das bis heute in den Knochen, davon zeugen Eva Herman und Co. Hartnäckig hält sich die Ansicht, Frauen müssten „vermännlichen“ – was immer das auch ist –, um sich in einer patriarchal aufgebauten Gesellschaft auf politischem oder ökonomischem Terrain zu behaupten und Karriere zu machen. Oder sie werden, zumindest vordergründig, gerade deshalb willkommen geheißen, weil sie „spezifisch weibliche“ Qualitäten einbringen: Friedfertigkeit, Fürsorglichkeit, Empathie.
Oft genug wiederholt, ist die Ideologie in Teilen real geworden. De facto bestimmen Männer die Spielregeln in den politischen Arenen und de facto hatten sie über 2000 Jahre Zeit, Seilschaften, Männerbünde und Codes zu entwickeln. Frauen müssen sich dagegen oft auch über verinnerlichte Widerstände und hemmende Glaubenssätze hinwegheben, wenn sie sich profilieren und zur Täterin, sprich tätig werden, wenn sie ihre Interessen klar formulieren und gegen andere durchsetzen wollen. Barbara Schaeffer-Hegel spricht („Frauen und Macht“, Berlin 1984) von einer auf Konsens gerichteten Verhaltenstradition, die zwar als Mitverursacherin von Machtlosigkeit erkannt ist, zugleich aber auch als wertvollere Form des sozialen Umgangs propagiert wird. Es geht um die Fragen, ob Machtlosigkeit per se Unschuld bedeutet, ob Macht nicht immer auch ein Gewährenlassen voraussetzt, ob wir die Hälfte dieser Welt wollen oder eine ganz andere, in der Macht neu definiert ist und in der Einflussnahme ohne Herrschaft funktioniert.
Das Verhältnis zwischen Bewegungsfrauen und Frauen in den Institutionen ist mitunter ambivalent. Gründe, die Arenen der Macht zu meiden, sind vielfältig: Dort sind keine wirklichen Veränderungen zu erwarten, zu viel Energie versickert in Formalia und Machtspielen, radikale Impulse werden schnell vereinnahmt und so entschärft und am Ende kommt nur ein Kompromiss heraus. Barbara Schaeffer-Hegel bezeichnet das provokativ als „Omnipotenzphantasie der Ohnmacht“: die Idee, einen Prozess anzustoßen, lohne nur, wenn er bis zum gewünschten Ergebnis kontrolliert werden könne. Ferner sei die Frauenbewegung gut darin, moralischen Druck zu erzeugen, habe aber oft zu wenig Durchhaltefähigkeit, den notwendigen politischen Druck auszuüben.
Im Handbuch der Frauen- und Geschlechterforschung (2004) beschreibt Ilse Lenz geschlechtssymmetrische Gesellschaften. Deren strukturelle Voraussetzungen sind: die Kontrolle über die eigenen Produktionsprozesse, d. h. der Besitz an Produktionsmitteln und die Verfügung über das Produkt, die eigenständige Verfügung über Ehe und Gebärfähigkeit, über Sexualität und den eigenen Körper, politische Autorität sowie eine sozial hochbewertete Position in der symbolischen Ordnung und in den rituellen Aktivitäten, mit denen diese Ordnung gefestigt wird. Die entscheidenden Machtfelder, an denen Frauen noch immer nicht auf gleiche Weise partizipieren, sind damit wohl treffend umrissen.
Auf den folgenden Seiten untersucht Barbara Degen aus historischer Perspektive das Verhältnis von Frauen zur „Gerechtigkeitsmacht“. Isolde Aigner erforscht die Rolle von Frauen in rechten bzw. rechtsradikalen Parteien und Sonja Klümper schildert ihre Erfahrungen mit Sexismus in der Linken. Den Weg vom Politikverbot ins Kanzlerinnenamt zeichnet Claudia von Gélieu nach. Susanne Timmermann analysiert, inwiefern sich Eliten in Politik und Wirtschaft überwiegend männerbündisch organisieren. Machtvolle Frauen in Russland porträtiert Mareen Peria.
Melanie Stitz, Gabriele Bischoff, Mechthilde Vahsen
Inhalt dieser Ausgabe
Macht und Gerechtigkeit
Barbara Degen stellt die weibliche Justitia vor
Muliplikatorinnen rechten Gedankenguts
Isolde Aigner zeigt die Strukturen auf
Gemeinsam macht stark
Claudia von Gélieu berichtet vom hürdenreichen Weg
Unmarkierte Kategorien und Dominanz
In Autonomen Räumen untersucht Sonja Klümper
Leistung lohnt sich?
Antworten findet Susanne Timmermann
Revolutionärinnen in Russland
stellt Mareen Peria vor
Krieg und Frieden
Death Valley – Im Tal des Lebens
Feminizide in Honduras
NATO-Gipfel in Rumänien
FAIR PLAY bei Olympia 2008
Pippa Bacca auf Friedenstour ermordet
Infos zu Eren Keskin und Lelya Zana
Projekte
Beginenkultur in Deutschland
Kultur
Verena Jaeckel: Neue Familienporträts
Irmtraud Morgner: Scheherazade aus Sachsen
Kommentar
Girls‘ Day: Wie in den 1970er Jahren
Herstory
Zur Rezeption von Clara Zetkin
Venus von Willendorf
Gesehen
„Memory Books“ von Christa Graf
Internationales Frauenfilmfestival Dortmund|Köln
Daten und Taten
Emmeline Pankhurst, Francesca Woodmann
Außerdem
Korinthe: Feministinnen-Trinkspiel
Hexenfunk
gelesen
Nachtrag