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Herbst 3/2024

Bildet Banden!

Ob zu sogenannten „Hungerrevolten“, in der radikalen „Roten Zora“ oder der indischen Gulabi-Gang –  Frauen, die sich in Banden zusammentun, die Gerechtigkeit in eigene Hände nehmen und dabei gegen Regeln, mitunter gar Gesetze verstoßen,  spielen in der Geschichte der Frauenbewegungen eine große Rolle. Allein machen sie dich ein. Ohne Freundinnenschaft sind wir verloren. Hartnäckig halten „Wir Frauen“ daher an unserem Titel  fest: Gegen die Vereinzelung, die uns in Herrschaftsverhältnissen festhält, steht  ein solidarisches WIR. Das ist nicht von selbst zu haben, nicht selbstverständlich oder gar „natürlich“ (per Geschlecht)  gegeben. Es ist ein Projekt, das erst und immer wieder miteinander zu erarbeiten ist. Selbstverständlich sind wir feministisch und antikapitalistisch und antirassistisch und noch vieles mehr – die Kommata und Bindestriche sind schnell aneinandergereiht und die Aufzählung ist niemals vollständig. Was aber, wenn die verschiedenen Ketten aneinander geschmiedet sind? Wenn die Befreiungskämpfe der einen auch an die Privilegien der anderen rühren? Wenn wir zwischen den Stühlen sitzen oder „den Hut wechseln“ müssen? Frauen- und Arbeiterbewegung zum Beispiel verfolgen doch eigentlich dasselbe Ziel: „… alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx). In der Praxis zeigt sich jedoch: „Der Zusammenhang ist keiner, wenn er nicht von den Beteiligten hergestellt wird.“, so der Gedanke Frigga Haugs, die in ihrem Buch „Der im Gehen erkundete Weg“ (Argument Verlag 2015) das Ringen um einen feministischen Marxismus/marxistischen Feminismus beschreibt.

Teile und herrsche!

Die Strategie „Teile und herrsche!“ funktioniert prächtig. Gegeneinander gestellt werden Alte und Junge, das „Abendland“ und die Muslime, „die faulen Griechen“ und das „tüchtige Kerneuropa“, Nationen sowieso, Flüchtlinge gegen arme Alteingesessene, die von ihrer Arbeit nicht in Würde leben können oder eine Wohnung suchen. Das Boot sei voll, es gebe nicht genug für alle, der Mensch „an sich“ sei nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Wer das nicht glaubt, wird als „Gutmensch“ verlacht – immerhin wurde der Begriff zum „Unwort des Jahres“ gekürt…. Kurzum:  Es ist einmal mehr die Zeit, kritisch und global zu fragen: Wem gehört die Welt? Wie wollen wir zusammen leben? Wie wollen wir wirtschaften?
Der neoliberale Feminismus plädiert für noch mehr Selbstoptimierung und singt das Loblied auf die „Eigenverantwortung“. Die neuen Top-Girls schaffen es auch ohne Quote, und Geschlecht war für sie nie ein Thema. Selbst schuld sind Frauen, die Hilfe brauchen, ihre Kinder nicht optimal getimt und die Karriere haben schleifen lassen. Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling ließen sich in ihrem Buch „Tussikratie“ 2015 spöttisch über Frauen aus, die noch solidarisch miteinander sind. In einem Workshop bei der letzten Feministischen Herbstakademie (s. auch S. 12), an der sich auch WF-Redakteurinnen beteiligten, analysierten wir Artikel aus dem Dossier einer Frauenzeitschrift, betitelt mit „Wie ich in der Krise neue Stärke gewann“. Die Beiträge handelten von Frauen, die ausharrten, die Hoffnung nie aufgaben, hart arbeiteten. Andere und Erfahrungen von Solidarität kamen darin nicht vor, allenfalls eine sich aufopfernde Mutter oder ein unverhofft auftretender  (männlicher) Prinz/Erlöser.  Alle Frauen meisterten Krisen und Schicksalsschläge  allein,  wurden am Ende von höheren Mächten belohnt und waren darauf stolz. Ihre „Stärke“ basierte auf Duldsamkeit und Vereinzelung.

Wenn es gut läuft…

Den verächtlichen Blick auf Frauen zu überwinden, Frauen überhaupt wahrzunehmen, Wertschätzung zu üben, Differenzen anzuerkennen und produktiv zu machen – auch das sind Themen der Frauenbewegungen seit Anbeginn. Das Repertoire reicht vom Affidamento-Ansatz bis zur „Kunst des Klüngelns“, Frauen treffen sich in Gruppen, Netzwerken  und an Orten der Gegenkultur. Im Idealfall ist die Gruppe mehr als die Summe ihrer Teile. Alle tragen zur Arbeit bei, im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Bedürfnisse, der Umgang ist verbindlich und respektvoll, alle haben den Mut, mit zu entscheiden, auf jede ist Verlass. Hinzukommende werden als Bereicherung wahrgenommen, Verantwortung rotiert und wird an die Jüngeren weitergereicht. Grenzen werden formuliert und respektiert, BEVOR eine ausbrennt oder sich aus allem zurückzieht. Soweit die Theorie…  Stark geprägt von Erfahrungen der Klimabewegung kursiert das Konzept vom „nachhaltigen Aktivismus“.  Eine Gruppe bearbeitet gemeinsam die Frage: Was brauchen wir, um dauerhaft dabei zu bleiben?  Drei Ebenen werden dabei fokussiert. So geht es um eine Auseinandersetzung mit Grenzen und Möglichkeiten des Projekts in den herrschenden Verhältnissen, um sich nicht völlig zu verausgaben oder z.B. an dem Anspruch zu verzweifeln, auf jeder Demo dabei zu sein und in absehbarer Zeit die Welt zu ändern. Wenn immer wieder „alles nicht zu schaffen ist“, dann sind die Ansprüche vielleicht zu hoch. Es kann helfen, sich auf die Bedeutung des eigenen Projekts zu besinnen, als Teil und Beitrag zu einer größeren Bewegung. Eine zweite Ebene sind eigene Einstellungen und die Sorge um sich: Darf ich angesichts der ernsten Lage dennoch eine Auszeit nehmen? Ist Selbstsorge nicht auch widerständige Praxis?  Wie gebe ich Gefühlen Raum wie Hoffnungslosigkeit oder Angst? Als dritte Ebene: Umgang und Zusammenarbeit in der Gruppe: Verbindlichkeit gehört dazu, aber auch die Frage: Darf man hier Schwäche zeigen, sind auch die willkommen, die weniger beitragen können oder wollen? Wie pflegt die Gruppe eine Kultur von Achtsamkeit, Vertrauen, Wertschätzung? Trifft man sich auch, um Spaß zu haben, es sich gut gehen zu lassen, Kraft zu tanken? Werden Erfolge gefeiert?

Manches geht nur analog

Was wären wir ohne die neuen Kommunikationsmedien? Sie sind bestens geeignet, um rasch zu mobilisieren, Positionen in die Breite zu tragen, Infos zu sammeln…  Schwierig wird es, wenn Emails nicht mehr gelesen werden. Immer öfter kursiert der absurde Betreff: „WICHTIG: Bitte wirklich lesen, bis zum Ende!“. Oder wenn gar nicht oder zu schnell geantwortet wird, müde oder verletzt, gleich an den großen Verteiler. Ein Anruf hätte klären können… Die digitalen Möglichkeiten beeinträchtigen paradoxerweise auch das, was sie doch unterstützen sollen: unsere Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren. Sie ersetzen nicht die Begegnung leibhaftiger Menschen zur selben Zeit in analogen Räumen, um zu diskutieren, Differenzen auszutragen, zu lernen, zu reflektieren, um miteinander zu lachen und einander zu stärken.

Auf den kommenden Seiten berichtet Selime, eine Aktivistin aus Istanbul, im Gespräch mit Hannah Schultes über die türkische Frauenbewegung, separate Organisierung und wichtige Bündnisse. Katharina Schwabedissen erzählt im Interview mit Melanie Stitz über gewerkschaftliche Organisierung in der Altenpflege und Katharina Volk schildert, wie Frauengespräche nach Rossana Rossanda die Achtsamkeit schulen. Gabriele Bischoff schreibt über die Lobbyliste des Bundestags, die transparenter machen soll, wie „Banden“ ganz anderer Art unbehelligt von der Öffentlichkeit Einfluss auf Gesetze nehmen. „Raus zum Frauen*kampftag“, so der Appell von Katharina Volk. Sie stellt das bundesweit nach Berlin mobilisierende Bündnis vor. Nicht nur zu Sylvester, in Köln und andernorts: Gewalt gegen Frauen prägt immer noch den Alltag, wird geduldet, ignoriert und instrumentalisiert: „Wenn nicht jetzt, wann dann? – Bildet Banden!“, so der Aufruf von Isolde Aigner.

Melanie Stitz

Inhalt dieser Ausgabe

Schwerpunkt: Bildet banden

„Wir wollen von uns selbst ausgehen“. Interview mit Selime von Istanbul Feminist Kolektif
Hannah Schultes

„Dann backen wir uns die Kollegin eben selber!“ Interview mit Katharina Schwabedissen
Melanie Stitz

Einmischung nach Rossana Rossanda
Katharina Volk

Man kennt sich…
Gabriele Bischoff

Frauen*kampftag
Katharina Volk

Bildet Banden! Anlässlich der Ereignisse in Köln
Isolde Aigner

Korrekturen zu Ausgabe 4/2015

Meine feministische Wahrheit


Freudensprünge.
Luisa Muraro

Krieg und Frieden


„Wir kämpften, wir gingen zu Demonstrationen… Warum sollten wir denn nicht wählen?“ Frauen im griechischen antifaschistischen Widerstand.
Sabine Bade

„Luchadoras Libertarias“ – anarchistische Widerstandskämpferinnen im Spanischen Bürgerkrieg
Christiana Puschak

Angela Davis – Gedankensplitter
Florence Hervé

Sechs Jahre Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt

Projekte
Aufbruch beim Deutschen Frauenrat: Zehn Punkte zur Stärkung der Frauenlobby.
Gabriele Bischoff

WHO CARES?! Kämpfe um Reproduktion und Gewerkschaftsarbeit


Sorge füreinander solidarisch organisieren!
Gabriele Winker

Herstory


Stella Rotenberg
Christiana Puschak

„Und nur meine armen Lieder kühlen meinen heißen Schmerz“.
Christiana Puschak

KULTUR


Superheldin wider Willen. Die neue Netflix Serie „Jessica Jones“.
Isolde Aigner

Daten und Taten


Hanne Darboven / Ulle Hees