Arbeit: Für Lohn und Brot
Ein Arbeitstag von 12 Stunden für alle: vier Stunden Erwerbsarbeit, vier Stunden kulturelle Reproduktionsarbeit und vier Stunden politische Arbeit. Die Idee stammt von Frigga Haug. Erwerbsarbeit, um unabhängig das eigene Auskommen zu sichern. Reproduktive Arbeit, weil sie so notwendig ist und verteilt gehört auf alle Schultern, von Frauen wie Männern. Gemeint sind Pflege und Erziehung, Hausarbeit, Lehren und Lernen… Politische Arbeit, weil noch so viel zu tun ist, für zukunftsfähige und menschenwürdige Formen des Zusammenlebens.
Arbeit als Selbstzweck und moralisches Gebot
Ganz selbstverständlich sprechen viele von ihrem Leben jenseits der Arbeit als „Freizeit“. Arbeit dagegen scheint „Zwangszeit“ zu sein. Arbeit ist ein moralisches Gebot, Fundament der abendländisch- christlichen Kultur, die Strafe für den biblischen Sündenfall. Die Idee ist Ausdruck für das verlorene Vertrauen in die Natur. Wer heute nicht im voraus arbeitet und Vorräte anlegt, wird im Winter verhungern.
Im 17. Jahrhundert ließ man die Insassen westeuropäischer Internierungshäuser sogar gänzlich nutz- und fruchtlose Arbeiten verrichten, weil Arbeit als solche – mag sie auch noch so sinnentleert sein – „heilsam“ sei. Faulheit und Müßiggang, das waren (und sind?) absolute Formen der Revolte, schreibt Michel Foucault in „Wahnsinn und Gesellschaft“. Diese Arbeitsethik sitzt uns bis heute in den Knochen. TherapeutInnen und AutorInnen von Ratgeberliteratur verdienen ihr Geld damit, Menschen dabei zu helfen, die zur Regeneration so wichtigen Momente des Nichtstuns ohne Schuldgefühle zu genießen. Sonja Klümper kritisiert dieses Verständnis von Arbeit und stellt in ihrem Artikel das „Recht auf Arbeit“ dem „Recht auf Leben“ gegenüber.
Es zählt nur, was Geld bringt
Arbeit als Selbstzweck – mit der Industrialisierung wurde diese Idee zum Fetisch. Zu dieser Zeit wird Arbeit in erster Linie zur Lohnarbeit. Tätigkeiten werden bis zur Verblödung in einzelne Handgriffe zerstückelt. Sinnvoll und wertvoll ist eine Arbeit nur dann, wenn sie den Profit maximiert. Andere Tätigkeiten werden als „Arbeit“ kaum mehr wahrgenommen und treten in ihrer Wertigkeit hinter das „Geld verdienen“ zurück.
Es zählt nur, was Geld bringt. Andere Kriterien klingen naiv: Macht diese Tätigkeit die Welt zu einem besseren Ort? Ist diese Technologie wirklich zukunftsfähig und ökologisch verträglich? Hilft uns dieses Produkt, das Überleben der Menschheit zu sichern? Es ist zum Haare raufen, mit welchen Produkten und Dienstleistungen sich heutzutage das meiste Geld verdienen lässt.
Wenn nur zählt, was Profit bringt, dann fallen ganze Lebensbereiche aus dieser Logik heraus und werden immer strikter separiert. Reproduktion, Hausarbeit, Pflege, Kindererziehung sind privates „Vergnügen“. Hier gilt es, sich Zeit zu nehmen und die Dinge mit Liebe zu tun. Wer versucht, Reproduktion und Lohnarbeit zu vereinbaren – und in der Mehrheit sind es bis heute Frauen – kann an den widersprüchlichen Anforderungen mitunter verrückt werden. „Umschalten“ oder „einen Gang runterschalten“ ist dann gefragt. Klappt bei einem Motor doch auch.
Auch im privaten Sektor gibt es – prekäre – Arbeitsverhältnisse. Feminist attac beschreiben in dieser Ausgabe die Situation so genannter „Dienstmädchen“. Hinter den Türen privater Haushalte erfahren sie nicht selten massive Ausbeutung und Entrechtung.
Da wo reproduktives Tun zur gesellschaftlichen Aufgabe geworden ist, in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, hält mit der Privatisierung das Profitprinzip gnadenlos Einzug. Wie aber macht man Gesundheitsversorgung und Pflege zu einem lukrativen Geschäft? Im Zweifelsfall spart man an den Personalkosten, an Qualifikation und Gehalt und reduziert die Pflege auf ein absolutes Mindestmaß rein körperlicher Grundversorgung. Dann werden PatientInnen mit Schlaganfall oder Demenz eben Magensonden gelegt, auch wenn jede fünfte davon medizinisch nicht notwendig wäre. Brigitte Heinisch zieht derzeit in Berlin gegen ihren Arbeitgeber, den Klinikkonzern Vivantes, vor Gericht: Im „Profitcenter“ Seniorenheim seien PflegerInnen aufgrund der schlechten Personalsituation zu unterlassener Hilfeleistung und freiheitsentziehenden Maßnahmen gezwungen.
Mein Problem oder unser Problem?
Arbeitslosigkeit, schreibt Erika Feyerabend im Freitag (Ausgabe 27 vom 8.7.2005), sei seit jeher ein Phänomen des Kapitalismus. Das System braucht ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit, um den Preis der Ware Arbeit in seinem Sinne „regulieren“ zu können. Immer schon sind vorwiegend die Unterklassen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Heute aber fühlt sich – zu recht – jeder bedroht. Auch hochqualifizierte Fachkräfte und AkademikerInnen sind betroffen. Gedeutet wird dies als individuelles Versagen oder Gelingen. Arbeit zu haben bestimmt den eigenen Selbst-Wert mehr als alles andere. Die Verantwortung liegt bei den Einzelnen – sie müssen einfach mehr arbeiten, dafür weniger Geld verlangen, mehr können, motivierter und noch flexibler sein.
Dabei beweisen viele ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften doch schon, wie flexibel sie sind. Vielerorts verzichten sie auf Weihnachtsgeld und nehmen Lohneinbußen in Kauf, um die Arbeitsplätze ihrer KollegInnen – zumindest vorerst – zu sichern. Das Unternehmen sei nämlich ohne schmerzhafte Einschnitte nicht länger konkurrenz- und überlebensfähig. Übersetzt heißt das in vielen Fällen: Die Anteilseigner, jene also, die ihr „Geld für sich arbeiten lassen“, fordern lukrative Dividenden.
Arbeitskraft zu Dumping-Preisen
Arbeit gibt es genug. Viel davon wird in so genannten Billiglohnsektoren geleistet. Ob in Ein-Euro-Jobs oder in Behindertenwerkstätten oder in den Gefängnissen – Arbeitskraft ist heute vielerorts zu Dumping- Preisen zu erwerben. Solche Arbeit dient schließlich eher therapeutischen oder pädagogischen Zwecken und sollte, so die Profiteure, am besten noch staatlich bezuschusst werden…
Manchmal ist Arbeitskraft sogar ganz umsonst zu bekommen. PraktikantInnen werden über Jahre mit der Aussicht auf einen Job geködert und vernichten unfreiwillig Arbeitsplätze. AutorInnen erhalten keine Honorare von ihren Verlagen. Und vieles läuft ohnehin nur noch über das Ehrenamt. Monika Gerstendörfer, Florence Hervé und Ricarda Palliwoda berichten indiesem Schwerpunkt über ihre Erfahrungen. Gabriele Bischoff kommentiert die Ausbeutung von PraktikantInnen. Ein Arbeitstag von 12 Stunden für alle: vier Stunden Erwerbsarbeit, vier Stunden reproduktive Arbeiten und vier Stunden für die politische Arbeit. Die Idee, finden wir, hat ihren Charme.
Melanie Stitz und Gabriele Bischoff
Inhalt dieser Ausgabe Gesamte Ausgabe downloaden
„Recht auf Arbeit“ vs. „Recht auf Leben“
Sonja Klümper
Lernen in der Praxis
Interview: Gabriele Bischoff
„Eine merkwürdige Definition von Arbeit und Leistung“
Interview mit Monika Gerstendörfer zum Thema „Wohltat Ehrenamt?“
Die Sitten sind rauer geworden
Mühen und Ärger einer Autorin
Florence Hervé
Ein anderer Blick auf das Ehrenamt
Erfahrungen mit einem Frauenarbeitsplatz
Ricarda Palliwoda
Das Dienstmädchen kehrt zurück
Infos zum Schwerpunkt
Andere Länder
1000 Frauen für den Friedensnobelpreis 2005
Florence Hervé
Zwischen Außenministerium und Brautraub – Frauen in Kirgistan
Melanie Krebs
Frauenpower in Vietnam
Ilona Schleicher
Kurzinfos
Projekte
25 Jahre Zeitschrift WIR FRAUEN
Kultur
Ein Vierteljahrhundert nackte Frauen
Bettina Rheims: Eine Retrospektive
Mithu M. Sanyal
Patriarchalisch und diskriminierend – Europäische Feministinnen kritisieren den EU-Verfassungsentwurf
Cristina Fischer
Herstory
Salecina – Ein alternatives Bildungs- und Ferienzentrum mit Frauenprogramm am Maloja-Pass
Florence Herve
Daten und Taten
Lou Albert Lasard und Melina Mercouri
Mechthilde Vahsen, Marion Gaidusch
Außerden
gesehen
gelesen