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Sommer 2/2024

Aktenzeichen: „Verbrecherinnen“

Innerhalb der Redaktion haben wir über den Titel „Verbrecherinnen“ diskutiert, weil uns durchaus bewusst ist, dass die betroffenen Frauen sich selbst so nicht bezeichnen würden. Aber andere diskutierte Vorschläge wie „Täterinnen“ oder „Gesetzesbrecherinnen“, oder auch „Hinter Gittern“ sind einschlägig „vorbestraft“ und erschienen uns daher noch weniger geeignet. Die Bezeichnung „Verbrecherin“ ist verstehen wir als eine Zuschreibung von der Gesellschaft für Frauen, die sich an die Gesetze der Mehrheitsgesellschaft nicht halten können oder wollen. Von der Stigmatisierung und der daraus folgenden Zuschreibung wollen wir uns distanzieren. Denn wie schnell können in diesen unsicheren Zeiten und der Menge an Datensammlungen Menschen zu „Gesetzesbrecherinnen“ bzw. „Verbrecherinnen“ werden – wer macht da die Zuschreibungen? Erinnern möchten wir an die Sicherheitskonzepte, die zu dem nationalen Großevent „Fußball-Weltmeisterschaft“ aufgelegt und vielleicht nicht wieder aufgehoben werden. Überlegungen, die verkehrstechnischen Maut-Systeme zur Beobachtung der Bevölkerung zu nutzen, wurden auch schon laut ausgesprochen, schließlich: „Wer nichts verbrochen hat, hat auch nichts zu verbergen, oder?“

Was hier strafbar ist, ist woanders Teil der Kultur und umgekehrt!

„Verbrecherinnen“ können auch Frauen sein, die sich gegen gesellschaftliche Verhältnisse auflehnen, die gegen den Strom schwimmen und in Kauf nehmen, dafür aus dem „normalen“ Kanon zu fallen. Der Schwerpunkt „Verbrecherinnen“ ist jenen Frauen gewidmet, die unter Kriminalisierungen leiden und zu „Verbrecherinnen“ gemacht werden. Weil sie abtreiben, in ein anderes Land fliehen oder drogenabhängig sind.

Antje Schrupp hat in “Frauen Unterwegs (Februar 2003) festgestellt: „Erstaunlich ist, dass nur etwa fünf Prozent aller Gefängnisinsassen in Deutschland Frauen sind, in anderen Ländern ist der Frauenanteil ähnlich gering. Neunzig Prozent dieser inhaftierten Frauen sitzen wegen Vergehen bei denen niemand körperlich zu Schaden gekommen ist. Frauen, die wegen Gewaltdelikten im Gefängnis sind, haben diese Tat in vier von fünf Fällen im engeren Familienkreis verübt, meist ging dieser Tat eine jahrelange Leidenssituation voraus. Da verhältnismäßig so wenige Frauen im Knast sitzen ist ihre Situation umso schwerer. In ganz Deutschland gibt es nur sieben Frauengefängnisse, viele Frauen sind deshalb in Unterabteilungen von Männerknästen inhaftiert. Deshalb sind sie oft völlig unnötigen Sicherheitsauflagen unterworfen. Es gibt auch keine speziellen Ausbildungsangebote für die Frauen, weil sie einfach zu wenige sind. Und die Frauen sind auch im Schnitt viel weiter entfernt von ihren Angehörigen untergebracht, was Besuche und Kontakte erschwert.“

Ulrike Lembke, die gerade ihre Dissertation an der Juristischen Fakultät Greifswald schreibt, greift den Begriff „Verbrecherin“ auf und klärt, warum Frauen so selten Verbrechen begehen. Sonja Vieten hat mit Hilfe der Autoren Feldmann und Heilmann einen Blick in das Kölner Frauengefängnis geworfen, Cristina Fischer widmete sich den Gefangenenportraits von Eva Haule. Aus beiden Büchern haben wir für die Illustration Fotografien abgedruckt.

Die Frage nach einer Gesellschaft ohne Knäste stellt Sonja Klümper.

Cristina Fischer beschäftigt sich mit der neu entflammten Diskussion zu Spätabtreibungen und der damit verbundenen Infragestellung der Selbstbestimmung.

Darüber hinaus dokumentieren wir den jährlichen Aufruf zur Abschaffung des Frauenabschiebeknastes in Neuss, in dem Frauen kriminalisiert werden, weil sie nach Deutschland geflohen sind.

Sonja Klümper, Gabriele Bischoff, Melanie Stitz

 

Inhalt dieser Ausgabe

 

Kennst Du den Ort, wo niemand lacht?

Frauenalltag in der JVA Köln-Ossendorf

Sonja Vieten

Das „verbrecherische Weib“ im Spiegel der Kriminalwissenschaften

Ulrike Lembke

Kann mensch Konflikte wesperren?

Gesellschaft ohne Knäste – Lösung oder Utopie?

Sonja Klümper

Abtreibung ist Unrecht!

Droht eine Verschärfung de § 218?

Cristina Fischer

Mit WÜrde und Schöhnheit

Frauen im Gefängnis Frankfurt-Preungesheim, fotografiert von Eva Haule

Cristina Fischer

Legalisierung statt Razzien und Abschiebung!

Aufruf zur Demo gegen den Abschiebeknast Neuss

Inos zum Schwerpunkt

 

Andere Länder


Machogewalt und Islamismus im Spiel?

Interview mit Ernestine Ronai zum Aufruhr in Frankreich

Kurzinfos: Irak

Projekte


„Eine neue Linke, die feministisch ist“

Interview mit Christine Reymann

Margitta Zellmer

 

20 Jahre Kölner Frauengeschichtsverein

Bettina Bab

 

Justizia ist eine Frau – Der Feministische JuristInnentag

Cristina Fischer

 


 

Kommentare/Diskussionen

Die Suche nach dem Heiligen Gral

Die Debatte um Dan Browns Weltbestseller „Sakrileg“

Mithu M. Sanyal

 

Herstory

Für das Recht auf Land und Ausruhen nach der Arbeit!

Indigene Zapatistinnen formulieren ihre Rechte

Melanie Stitz

 

YES

Gudrun Lukasz-Aden/Christel Ströbel

 

Kultur

„Die Kühnheit des Sehens“

Zum 50sten Geburtstag der Dresdner Malerin Angela Hampel

Florence Hervé

 

Daten und Taten

Ellen Auerbach und Lea Grundig

Ulrike Müller, Cristina Fischer

 

Außerdem

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