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Frühjahr 1/2024

ZWISCHEN OST UND WEST

Ausgabe 3/2019

Für uns Redakteurinnen hat die Wende 1989 in unseren Biografien ganz unterschiedliche Bedeutungen. Die einen waren noch nicht oder gerade erst geboren, die älteren erinnern Aufbrüche und Hoffnungen auf das Zusammengehen der Frauen aus Ost und West, die Träume von einer gemeinsamen Verfassung, in der das Beste aus beiden Systemen aufgehoben wäre… und auch den Siegeszug des „überlegenen“ West-Systems, den Backlash der 90er Jahre, als linke Ideen bestenfalls belächelt wurden. Dann brannten Häuser (und auch Menschen darin) z.B. in Mölln und Solingen, in Rostock und Hoyerswerda. Wirkungsvoll hatten Politik und Medien von Spiegel bis BILD zuvor mit Worten gezündelt. Es war die Zeit des sog. „Asylkompromisses“ – die Aushöhlung eines Menschenrechts. Deutschland zog in den Jugoslawienkrieg, begründet schon damals mit Fake News. Der Feminismus galt – im Mainstream – als erledigt. „Schluss mit der political correctness!“, hieß es.

Derweil ist viel geschehen. Vielfach-Krisen nähren die Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann. Feministische Bewegungen stellen die richtigen Fragen und bündeln emanzipatorische Kräfte. Auch deshalb werden sie von der Rechten weltweit zu Hauptgegnerinnen erklärt. Einst verpönte Begriffe wie „Kapitalismus“, „Sozialismus“, „Feminismus“ sind auf neue Weise salonfähig. Alarmistisch behauptet Thomas Fuster in seinem Artikel „Die neue Lust am Sozialismus“ (Neue Zürcher Zeitung) u.a. in Deutschland und den USA ein „Abdriften an den linken Rand“. Dort sei „Sozialismus kein Schimpfwort“. Die Berliner Mietpreisbremse sei ein „extremer Eingriff in die Eigentumsrechte“, warnt Fuster. Gegen die antikapitalistischen Thesen von Kevin Kühnert wurde sogleich die DDR als Argument angeführt: Gescheitert sei sie, weil es an ökonomischen Anreizen gefehlt habe. An diesen gibt es hierzulande wahrlich keinen Mangel: Geschäfte mit Wohnraum und Gesundheit z.B. versprechen maßlose Renditen. Dieser Tage setzte Sachsens CDU die DDR mit dem NS-Regime gleich.

Noch heute also dient die DDR zur Legitimation herrschender Verhältnisse. Wer aber glaubt wirklich noch, dass es der Markt schon richten wird, Profitorientierung die Lösung sei und Vergesellschaftung zu Mauerbau und Gulag führt?

[…]

Naika Foroutan, Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik, und Kolleg*innen kamen in ihrer Studie „Ost-Migrantische Analogien“, die im April veröffentlicht wurde, zu dem Schluss, dass mit Blick auf strukturelle Ungleichheiten, Repräsentationslücken und Abwertungserfahrungen Ostdeutsche und Migrant*innen in Deutschland auf vergleichbare Weise stigmatisiert seien. Die Untersuchung gibt aber nicht Aufschluss über reale Benachteiligungen, sondern darüber, was die Befragten übereinander denken. Die Thesen führten zu kontroversen Diskussionen. Bezweifelt wurde sowohl das methodische Vorgehen als auch die Vergleichbarkeit von Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen.

(aus der Einleitung )


Inhalt dieser Ausgabe:

Schwerpunkt: ZWISCHEN OST UND WEST
Einleitung: 30 Jahre zwischen Ost und West
von Melanie Stitz und Tina Berntsen

Von Mauern und Identitäten
von Tina Berntsen

Vertane Chance
von Helga E. Hörz

Gedanken einer Außerhalb-Stehenden
von Florence Hervé

„Es gab eine materielle Basis für das Selbstbewusstsein“
Interview von Melanie Stitz mit Jana Frielinghaus

30 Jahre Rentenungerechtigkeit: Die Zeit läuft davon!
Interview von Tina Berntsen

Lyrikerinnen zwischen Ost und West
von Christiana Puschak

Meine feministische Wahrheit
Tiefrot und radikal bunt. Für eine neue linke Erzählung.
von Julia Fritzsche

Krieg & Frieden
Das Wort zurück erobern! 30 Jahre widerständige Medienarbeit in Costa Rica
von Liana León und Mette Gutjahr, Asociación Voces Nuestras

„Da draußen sterben immer noch jeden Tag Menschen!“
von Lena Reiner

WHO CARES?! Kämpfe um Reproduktion und Gewerkschaftsarbeit
Krieg gegen Frauen*
von Tina Füchslbauer

Herstory
„Ein Zimmer für sich allein“, erschienen 1929

Projekte
Feminist Futures Festival

Feministische Herbstakademie: Utopien

GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft feiert 10-Jähriges!
Ein Interview von Mechthilde Vahsen mit den „Macherinnen“ der Zeitschrift

Kultur
Über die Stärken von Mädchen und Herzen der Jungen gesehen
von Annegret Kunde

Nur eine Frau
von Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel

Daten und Taten
Joe Lederer / Ulrike Marie Meinhof