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Winter 4/2024

Älterwerden

von Melanie Stitz

(aus WIR FRAUEN Heft 3/2024)

Immer noch und immer wieder streiten gegen §218, für gleichen Lohn, gegen Gewalt? Älter werden kann wütender, radikaler, gelassener oder gar zynisch machen. Es kann uns stärken und verschleißen zugleich.

Alte haben schon vieles erlebt: Heiße und kalte Kriege, Aufbrüche und Enttäuschungen, Erkämpftes, das sich gegen uns wendet, Ausschluss, Verfolgung, Integration, unmoralische Angebote, Zuspruch von der falschen Seite, Nischenkultur und Widerstand – Politik in Widersprüchen.

Nicht allein diese Erfahrungen machen uns/macht sie so wichtig, sondern mehr noch die Frage, wie das geht: dabeibleiben. Immer wieder hinfallen, aufstehen, die Krone richten, weitergehen…

Woher die Kraft nehmen und den langen Atem, den Mut und die Hoffnung?

Deswegen sind unsere Archive so wichtig (das Archiv der Deutschen Frauenbewegung würdigen wir unter „Herstory“). Deshalb nähren uns die Lebensgeschichten von Frauen im Widerstand gegen Krieg und Faschismus (frisch erschienen der Podcast zum Buch „Ihr wisst nicht, wo mein Mut endet“ von Florence Hervé). Darum berühren uns Filme wie „Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora“ (Christine Lamberty/Maria Baumeister, 2019) oder die wunderbare Doku „Fasia Jansen: Der Film“ (Re Karen, 2024).

Apropos zusammen: Die Strategien uns gegeneinander auszuspielen, sind vielfältig. „Einheimische“ gegen Migrant*innen, Lohnabhängige gegen Bürgergeldberechtigte und eben auch gern genommen: alt gegen jung. Wieso ist „Überalterung“ ein Problem und eine lange Lebenserwartung nicht Anlass zur Freude?

Aber auch die Jungen bekommen ihr Fett weg, wollen sie doch allesamt nicht mehr arbeiten gehen, wie hinreichend widerlegte Legenden behaupten. Wer also lebt auf wessen Kosten? Wer hat zu wenig oder noch nichts geleistet? Wer hat´s verbockt mit dem Klima? Wer hat ein Recht auf die Zukunft?

So werden die Systemfragen und der basale Konflikt, der auf keinen Fall benannt werden darf – jener zwischen den Klassen – immer wieder verdeckt und verschoben. Elke Heidenreich fasst es in ihrem Essay über das Alter prägnant in einfache Worte: Beim Klimawandel müsse das Umdenken bei jenen ansetzen, die „ausbeuten, verschmutzen, verdienen“.

Es gibt sie nicht, „die Alten“ oder „die Jungen“. Es gibt die Alten mit Einfluss und Macht sowie diejenigen, die nicht gehört werden. Es gibt Alte im Wohlstand, mit guten Pensionen, Häuschen im Grünen sowie Alte, die bei der Tafel anstehen. Es gibt junge, reiche Erb*innen sowie Kinder in Armut, ohne warme Mahlzeit am Tag. Weil Eigentum heilig ist und Kriegstüchtigkeit ihren Preis hat, wird das auch noch eine Weile so bleiben.

Neben jenen Alten, die medial kaum repräsentiert sind, gibt es andere – mit ausreichend Kaufkraft –, die sehr wohl sichtbar sind, die eigentlich gar nicht alt sind, weil nämlich immer noch jung, attraktiver als je zuvor, dazu sportlich, dynamisch, fit und flexibel. Na bitte, geht doch!

Frau muss nur wollen und zeitlebens am Ball bleiben. So lasst sich verdrängen, was aus guten Gründen mit Angst besetzt ist: dass es womöglich im Leben ungerecht zugeht.

Auch wenn wir uns sehnlichst anderes wünschen, sollte es doch unser Recht sein, gebrechlich, langsam, unflexibel und bedürftig zu werden, also Hilfe zu brauchen – eine Last womöglich für andere, die noch immer auf zu wenige, meist weibliche Schultern gelegt wird.

Wie also vorsorgen fürs Alter? Gemeinsam mit Freund*innen die Alten-WG planen, ein schönes Haus kaufen, von der gemeinsam bezahlten Pflegekraft träumen? Gemeinsam streiten für eine solidarische Bürger*innenversicherung, barrierefreie Infrastruktur, Pflegeeinrichtungen, in denen wir gern leben wollen, mit guten Arbeitsbedingungen für alle?

Egal, welches Thema wir in der Redaktion diskutieren: Gemeinsam zu kämpfen, erscheint uns beinah immer die beste Lösung zu sein. Das interessiert uns auch in dieser Ausgabe.

Annegret Kunde nennt Beispiele für generationenübergreifendes Engagement – ob gegen Rechts oder für das Klima, hierzulande wie andernorts. Isolde Aigner fragt mit ähnlicher Neugier, wie feministische Solidarität in Südafrika diskutiert und gelebt wird. Meltem und Linda vom queer-feministischen lila_bunt-Kollektiv erzählen vom Generationenwechsel im Frauenbildungshaus Zülpich und wie nach der schlimmen Flut im Ahrtal alle mitangepackt haben.
Unzählige Bücher wurden in den letzten Jahren über das Alter(n) geschrieben, über das eigene Ältwerden und das der Eltern. Anni Mertens las das an kulturgeschichtlichen wie philosophischen Überlegungen reiche Werk „Das Alter“ von Simone de Beauvoir. Christiana Puschak schreibt über Literatinnen und ihr Verhältnis zum Alter. Klara Schneider informierte sich über die Menopause.
Mit, gelinde gesagt, gemischten Gefühlen blickt Flora Eichner in der Rubrik „Meine feministische Wahrheit“ auf die Rente, von der ihre Mutter künftig leben soll. Evelyn Linde berichtet über das Projekt Afrodiverso in Havanna/Kuba, dass vor allem Senior*innen mit „Nahrung für die Seele“ versorgt. In der Rubrik „Kultur“ stellt Tina Berntsen die Granniegang vor, genial in Szene gesetzt von der Fotografin Susanne Krauss.

Die Ausgabe kann hier bestellt werden.

So bleibt auf den kostbaren Seiten in diesem Heft gar kein Platz, mehr um zu klagen, Frauen im Alter würden unsichtbar werden. Und überhaupt: Wovon haben wir uns ein ganzes Leben lang mühsam emanzipiert? Was schert uns ein Blick, der uns nach Attraktivität, Gewicht und anderem Marktwert taxiert?

„Warum wird die alberne These vom ‚unsichtbaren Geschlecht‘ gerade von Frauen immer wieder fortgeschrieben? Ihr zufolge ist Unsichtbarkeit ab dem Moment bewiesen, wenn Bauarbeiter nicht mehr pfeifen. Frauen, die ihr Leben lang dagegen gekämpft haben, auf ein Sexualobjekt reduziert zu werden, leiden nun darunter, keines mehr zu sein“, schreibt Charlotte Wiedemann in der taz.

Jede Menge wunderbare Frauen kommen uns in den Sinn, die uns inspirieren, die uns gefördert und unterstützt haben, mit denen wir alle Tage leben, lieben, lachen, kämpfen, streiten. Glaubt ja nicht, wir konnten auch nur auf eine von euch/uns verzichten!

Weil es so schön ist, hier noch einmal Charlotte Wiedemann, mit dem Schlusswort ihres Artikels:

„Jenseits der 60 feministisch sein heißt: eine uns angemessene Stärke zu leben. Sich nicht gescheitert zu fühlen angesichts der Kriterien anderer, angesichts neoliberaler Einflüsterungen vom gelingenden Leben oder angesichts des neuen Ehe-für-alle-Biedermeiers. Nicht zu hadern mit den Kompromissen der eigenen Biographie. Wenn wir selbstgewiss, radikal und gelassen sind, wäre das
ein feminism by doing.“


Die Autorin ist… 52 Jahre alt. Das kurze Stocken ist dem Umstand geschuldet, dass sie immer erst nachrechnen muss. Vielleicht wird sie – Stichwort Wechseljahre – vergesslich. Vielleicht liegt es auch daran, dass Alter relativ ist: In manchen Kontexten ist sie „alt“, in anderen „jung“. Und ganz oft spielt es auch gar keine Rolle.