wirtschaftsWEISE – anders wirtschaften
Wir ahnen es schon lange: Um die Erde zum Beispiel vor dem Klimawandel und der ökologischen Katastrophe zu retten, braucht es andere Mechanismen und Programme als eine so genannte freie Marktwirtschaft und Deregulierung. Schon in der Sommerausgabe der WIR FRAUEN hatten wir uns mit den ungleichen Besitzverhältnissen und den enteignenden Privatisierungen befasst, die eben keine Antwort auf die dringendsten globalen Probleme geben.
Die Ökofeministin Vandana Shiva nennt ihre Vision einer gerechten Weltordnung „Erd-Demokratie“, so auch der Titel ihres aktuellen Buches. Sie schlägt eine lokal und regional verankerte Demokratie vor, die niemanden ausschließt von der Teilhabe an den Schätzen der Natur. Eben eine weltumspannende Demokratie, in der nicht die Interessen der Wirtschaft, sondern die Menschen und der nachhaltige Umgang mit der Natur im Zentrum stehen.
Es gibt viele Überlegungen, den Verkehr anders zu steuern, Transportwege zu verkürzen, Energie zu sparen und wiedererneuerbare Technologien einzusetzen, den Mangel an Gütern und Nahrungsmitteln nachhaltig abzuschaffen und die Fülle gerecht zu verteilen. Doch der forcierte Anbau von Energiepflanzen wie Rapsöl oder Genmais zur Gewinnung von Biodiesel ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Nach ExpertInnenmeinung wird sich der Bedarf an Treibstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen allein in den EU-Ländern von jetzt knapp fünf Millionen Tonnen bis 2010 auf knapp 14 Millionen Tonnen pro Jahr verdreifachen. Schon jetzt steigen die Preise für die nachwachsenden Rohstoffe, aus denen eben nicht nur Lebensmittel, sondern auch Biotreibstoffe produziert werden können. Die Vervierfachung des Tortilla-preises in Mexiko hat Anfang des Jahres wütende Massenproteste ausgelöst. Als Grund für die plötzliche Teuerung des Grundnahrungsmittels wird der Importeinbruch von US-amerikanischem Mais genannt. Dieser wird in immer größeren Mengen zur Ethanolproduktion verwendet, um ihn als Fahrzeugtreibstoff zu verwenden. Die gesteigerte Bioethanolproduktion in den USA führte 2006 dazu, dass 40 Millionen Tonnen Mais weniger auf dem Weltmarkt landeten.
Wir könnten hoffen, dass mit Hilfe der Biotechnologie die Landwirtschaft verbessert und damit dem Hunger der Welt begegnet werden könnte. Doch so funktioniert die Biotech-Industrie nicht. Gentechnisch veränderte Pflanzen sind halt, anders als konventionell gezüchtete Sorten, patentierbar. LandwirtInnen müssen, um Saatgut benutzen zu dürfen, Lizenzgebühren zahlen, was zu fatalen Abhängigkeiten führt, siehe Biopiraterie global in WIR FRAUEN 2/2007. Zur industriellen Produktion von Nutztieren hat die Welternährungsorganisation (FAO) aktuell festgestellt, dass diese die größte Bedrohung für die globale Nutztiervielfalt darstellt. Die genetischen Quellen, um die Tiere nicht nur in Zeiten des Klimawandels widerstandsfähiger zu machen, drohen zu versiegen. So stammen zum Beispiel rund 85 Prozent der Eierproduktion aus einer Handvoll Rassen. Aus feministischer Perspektive befasst sich Christine Hahn seit einigen Jahren mit dem Thema des bedürfnisorientierten Wirtschaftens auf praktische und theoretische Weise. Sie kritisiert Ausbeutung, Verschmutzung und Patentierung natürlicher Ressourcen und hält selbstversorgende lokale Wirtschaftskreisläufe für eine ökonomische Notwendigkeit gegen die von „Gesetz und Ordnung“ unterstützte reine Verwertungslogik und Massentierhaltung.
Ann Marie Krewer stellt das Konzept der Genossenschaften als eine mit dem Feminismus kompatible Unternehmensform vor, liegt doch die Stärke der Genossenschaft im gleichen Grundsatz, der auch die Frauenbewegung stark machte: „Gemeinsam sind wir stark“. Dieser Ansatz gibt der alten Hoffnung Nahrung, dass weibliche Führungskräfte anders, nämlich weiser, wirtschaften würden. Aber die wenigen Frauen in den Chefetagen geben einfach zu wenig Datenmaterial her, um hier allgemeingültige Aussagen treffen zu können.
Wenn es um ein anderes Wirtschaften geht, dann darf ein Beitrag zu Venezuela nicht fehlen. Dort werden zurzeit in einer Vielzahl von Projekten Möglichkeiten der Partizipation, der Selbstorganisation und –versorgung erprobt, in Betrieben, auf Stadtteilebene, im Bereich der alternativen Medien … Weltweit noch einzigartig ist ein Verfassungsartikel, der Hausarbeit als eine wirtschaftliche Tätigkeit anerkennt, die einen Mehrwert schafft und soziale Wohlfahrt und sozialen Reichtum bringt. Aber auch in Venezuela ist die geschlechtsspezifische Rollenverteilung noch fest in den Vorstellungen vieler Männer und Frauen verankert. Um den antipatriarchalischen Kampf in die Bolivarianische Revolution zu integrieren, spielt das Nationale Fraueninstitut INAMUJER eine wichtige Rolle. Marie-Sophie Schlaugat arbeitete beim Frauentreffpunkt im Armenviertel von Caracas und konnte dort den Einsatz für die Verteidigung der Frauenrechte beobachten. Viele mögen glauben, dass die „andere“, weil angeblich humanere Sozialarbeit der christlichen Kirchen in Deutschland ausschließlich aus Kirchensteuern finanziert wird. Mareen Heying schreibt über das Ausmaß öffentlicher und privater Zuschüsse, die tatsächlichen Quellen, aus denen sich die kirchlichen Einnahmen speisen.
Vor handlichen Mehrzwecklösungen zur Rettung der globalen Welt warnt Christa Wichterich. Ihre These: Die allseits gelobten Mikrokredite verdrängen überbrachte informelle Formen des kollektiven Sparens und häufig auf Solidarität beruhende Finanztransaktionen zwischen Frauen. Sie seien eben keine Alternative zur Armutsbekämpfung, auch wenn sie vielen Menschen den Start in ein ökonomisch gesichertes Leben ermöglicht haben.
Melanie Stitz und Gabriele Bischoff
Inhalt dieser Ausgabe
Bevor das alte Wissen ausstirbt
Christine Hahn befasst sich mit der Selbstversorgung
Christine Hahn berichtet über die Folgen der Vogelgrippe
„Wir eG“ statt „Ich-AG“
Ann Marie Krewer zeigt die Vorteile von Genossenschaften auf
Zwischen Kampf und Küche
Marie-Sophie Schlaugat war als Wahlbeobachterin in Venezuela
Heilige Finanzwirtschaft
Mareen Peria beschreibt die Verflechtungen zwischen Kirche und Staat
Kleine Kredite – großer Mythos
Christa Wichterich warnt vor Wirkungen der Kleinkredite
Projekte
TubF e.V. und Borken Rainbow e.V.
Krieg und Frieden
Interview mit der queer Aktivistin Paula
Interview: Sonja Klümper
Gruß aus Palästina von Sumaya Farhat-Naser
Guatemala: III. Kontinentales Treffen der Indigenen Völker des Abya Yala
Leyla Zana und Politikverbot in der Türkei
Kultur
„I‘m Miss World, somebody kill me!“
Die Tagebücher der Courtney Love
Mithu Sanyal
Mit weiblicher Stimme erzählen
Arantxa Urretabizkaia wird 60 Jahre und erscheint zum ersten Mal auf Deutsch
Petra Elser
Kommentare/Diskussionen
zu „Wie Vitamin B17 Ihr Leben retten kann“
zu „Kunst im Bordell“ von Madonna e.V.
furchtlos und frivol – die neue F-Version
Feminismus ist wieder hip
Mithu Sanyal
Daten und Taten
Isabelle Eberhardt und Dora Maar
Mechthilde Vahsen, Mareen Peria
Außerdem
Hexefunk
gelesen
Leserinnenbriefe