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Winter 4/2024

Ware: Frau

In Moldawien, am äußeren Rand der neuen EU, gibt es Dörfer, in denen inzwischen jede zweite junge Frau verschwunden ist. In Litauen leben Kinder auf und von einer Müllhalde, darunter eine gut aussehende junge Frau, etwa 17 Jahre alt. Wie lange wird es dauern, bis sie von Menschenhändlern angeworben und einen „guter Job“ in Westeuropa in Aussicht gestellt wird?

Angaben (d. h. Schätzungen) der Europäischen Kommission zufolge werden in West-Europa bis zu 700.000 Frauen und Kinder (überwiegend Mädchen) durch organisierten Menschenhandel sexuell ausgebeutet.

Mit der Ware Frau erzielt das organisierte Verbrechen inzwischen nach den Drogen- und Waffengeschäften bei geringem Risiko die dritthöchsten Profite. Derjenige, der eine verschleppte Frau in der Zwangsprostitution ausbeutet, kann pro Woche bis zu 20 000 Euro einnehmen. Die überwiegende Mehrheit der verkauften Frauen und Mädchen kommt heutzutage aus Mittel- und Osteuropa. Deutschland ist sowohl Transitland als auch eines der Hauptabnehmerländer.

Im Jahre 2003 sind in NRW insgesamt 118 Verfahren wegen Menschenhandel eingeleitet worden. Die Menschenhändler nehmen den Opfern die Pässe ab und ohne Sprachkenntnisse sind sie ihnen dann ausgeliefert. Der zuständige Innenminister Behrens in der Pressekonferenz am 2. Au gust 2004: „Sklaverei ist das Wort, das annähernd das Schicksal dieser ausgebeuteten Frauen beschreibt.“Wenn wir, die wir hier leben, uns in den Städten bewegen, bekommen wir diese Frauen nur selten zu Gesicht. Opfer von Frauenhandel (über-)leben im Verborgenen, in einer Schattenwelt, die auf gewalttätigste Weise ihre Opfer ausbeutet und misshandelt.

Einige Schicksale von Opfern von Frauenhandel in dieser Ausgabe von WIR FRAUEN zeigen auf, wie junge Frauen in die Fänge der Frauenhändler geraten, welche Torturen sie erdulden müssen, wie ihr Wille gebrochen wird, und welche schwierigen Situa tionen sie auch nach einem Entkommen aus dieser Schattenwelt zu bewältigen haben.

Wie Opfer von Frauenhandel beraten und unterstützt werden können, zeigt im Schwerpunkt das Gespräch mit drei Fachfrauen, die in diesem Bereich arbeiten. Sie befassen sich auch mit dem neuen Zuwanderungsgesetz und stellen ihre Einschätzung einer Strafrechtsänderung vor, die im Herbst verabschiedet werden soll. Menschenhandel bezeichnet bisher den Strafbestand der Verschleppung mit dem Ziel der Zwangsprostitution und andere erzwungener sexueller Handlungen. Nach neuem Recht sollen alle anderen, sklavereiähnlichen Ausbeutungsverhältnisse, denen Migrantinnen ohne legalen Status ausgesetzt sein können, ebenfalls als gravierende Straftaten verfolgt werden.

Für die Zunahme von Frauenhandel und Zwangsprostitution in Kosovo/Metochien tragen UNO-Friedenstruppen und NATO die Verantwortung. Die Nichtverfolgung dieser Straftaten prangert amnesty international an.

Wie in jedem Warenhandel, orientiert sich auch im Handel mit der Ware Frau das Angebot an der Nachfrage, und den Markt schaffen die Freier, ob sie nun Michel Friedman, Professor Jörg Immendorf oder Fritz Mustermann heißen.

Wer mit Hilfe von Suchmaschinen im world wide web Informationen zum Thema Frauenhandel oder auch zum Thema Folter sucht, bekommt als Erstes Pornos geliefert. Wer den privaten TV-Sender RTL sieht, erhält die Darstellung von Heiratshandel als „normalen“ Vorgang, und darf sich Video-Szenen „reinziehen“, die ein Vergewaltiger seinem Opfer zugeschickt hat. Zu diesem skandalösen Vorgang bringen wir einen Kommentar der Lobby für Menschenrechte.

Ingeborg Nödinger

 

Inhalt dieser Ausgabe

 

Migrantinnen beraten Migrantinnen

Fachstelle für Opfer von Frauenhandel

 

amnesty international macht UNO-Friedenstruppen und NATO-Präsenz für den massiven Anstieg von Frauenhandel und Zwangsprostitution verantwortlich

 

Infos zum Schwerpunkt

J. Stolz

 

Andere Länder


Brief von Sumaya Farhat-Naser aus Palästina

 

Namibia: Wasser ist Lebenselixier

Heide Babing/Fred Babing

 

Frauenprojekte


Das ganze Leben

Labyrinthisches Denken und Handeln im Frauenbildungszentrum Dresden

 

Schlussakkord

Abschied der IHRSINN

Gabriele Bischoff

 

Kultur


Im Westen nichts Neues

Peggy Parnass

 

Europa in Liebe/Liebe in Europa

Mithu M. Sanyal

 

Mona Hatoum: Ausstellung und Katalog

Florence Hervé

 


 

Herstory

Ein letzter Eierlikör

20 Jahre Missfits

Mechthilde Vahsen

 

Daten und Taten

Dorothee Sölle und Louise Aston

Jessica Puhle/Doris Heeger

 

Außerdem

gesehen

gelesen