100 Jahre 8. März
Wann jährt sich der Internationale Frauentag zum hundertsten Mal? 1910 gilt es, das Engagement der sozialistischen Frauen zu würdigen und den historischen Beschluss der Internationalen Frauenkonferenz zu feiern. 1911 dagegen steht für die Einsicht, dass es einer Vielzahl von Bündnissen auch außerhalb des sozialistischen Lagers bedarf, einer „einheitlichen internationalen Aktion“ (Zetkin), um etwas zu bewegen. Ergo: Doppelt feiern hält besser!
Internationaler Frauentag (aus: Das Weiberlexikon. 5. Auflage, Köln 2006): Der I.F. ist ein Tag für die Rechte der Frauen, für den Frieden und eine humane Gesellschaft. „Um die Einführung des politischen Frauenwahlrechts zu beschleunigen“, beschlossen im August 1910 etwa 100 Frauen aus 17 Nationen, „alljährlich einen Frauentag zu veranstalten“, der „internationalen Charakter“ tragen sollte. Der Beschluss der Sozialistinnen auf ihrer 2. internationalen Frauenkonferenz in Kopenhagen war eine kleine Revolte mit großer Wirkung. In Frankreich offiziell anerkannt und in den sozialistischen Ländern vormals als Feiertag, in der Bundesrepublik weder ein anerkannter noch ein freier Tag, wird der Internationale Frauentag in vielen Ländern am 8. März mit Diskussionen, Veranstaltungen, Demonstrationen, internationalen Treffen und Festen begangen.
[…] Woher die Idee zu einem besonderen Frauentag kam, welches seine Vorläufer waren, ist nicht mehr genau auszumachen. Genannt werden die Demonstrationen New Yorker Arbeiterinnen 1857 gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen und für gleichen Lohn, die Streiks der Tabak- und Textil-arbeiterinnen 1908 in Manhattan, der 8-wöchige erfolgreiche Streik von 20.000 Hemdennäherinnen in der gleichen Stadt. Die unmittelbare Anregung, dies belegt ein Grußtelegramm von Amerikanerinnen zum ersten Frauentag 1911, dürfte von dem Beschluss der amerikanischen Sozialisten und Sozialistinnen ausgegangen sein (1909), „am letzten Februarsonntag große Propaganda für das Frauenwahlrecht und die Idee des Sozialismus zu veranstalten …“
In ihrer Partei, der damals großen und international einflussreichen sozialdemokratischen, stießen Clara Zetkin, Käthe Duncker und andere Genossinnen mit ihrem Vorschlag zu einem Frauentag auf wenig Gegenliebe. „Frauenrechtelei“ und „Extrawürste“ sahen viele Männer nicht gern; Rechte fürchteten Umstürzlerisches und mancher Linke fürchtete mit der Orientierung auf „Frauenwahlrecht“ Reformistisches. Die List: Was national schwierig war, setzten die Frauen international durch.
Dass die kleine Revolte große Wirkung zeigte, war das Verdienst vieler Frauen, organisierter und nichtorganisierter, die am 1. I.F. 1911 (19. März) in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA zu Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen zusammenkamen. 1912 wurde auch in Frankreich, Holland, Schweden, 1913 in Russland und der Tschechoslowakei u. a. für das Wahlrecht, für Arbeiterinnen- und Mutterschutz, für den 8-Stunden-Tag demonstriert. Bis zum 1. Weltkrieg war der Frauentag zu einem Tag vieler Frauen geworden, war die ganze Tradition als Tag für die Rechte der Frauen und für den Frieden ausgebildet. Während des Krieges zunächst verboten, konnten in Deutschland und Österreich 1916 nur Versammlungen im Saal stattfinden. Am 8. März 1917 – nach dem alten russischen Kalender war das der 23. Februar – machten Petersburger Textilarbeiterinnen mit ihrem Streik den Anfang zur „Februarrevolution“, die den Sturz des Zaren, das Ende des Krieges sowie die wirtschaftliche und politische Umwälzung in Russland einleiten sollte. In Erinnerung an dieses Ereignis wurde auf der 2. internationalen Konferenz der Kommunistinnen 1921 der 8. März als einheitliches Datum für den I.F. beschlossen. Die Gründung von sozialistischen und kommunistischen Parteien führte in den 1920er Jahren zur Stärkung nationaler Befreiungsbewegungen, die auch zu einer Verbreitung des I.F. führten. So gab es u. a. in Bulgarien, China, England, Estland, Finnland, Japan, dem Iran, Litauen, Polen und Rumänien Frauentagsveranstaltungen.
[…] Gegen anfangs erheblichen Widerstand haben Kommunistinnen, DFI-Frauen, Gewerkschafterinnen, dann auch Sozialdemokratinnen und Frauen aus der autonomen Bewegung den 8. März wieder zu einem Tag der Frauen und bekannt gemacht. Heute treffen sich Frauen in Parteien und Gewerkschaften, in Kirchengemeinden und Volkshochschulen sind neue Bündnisse entstanden. Der gemeinsame Aufbruch von Frauen gegen den §218, die Reform- und Entspannungspolitik wie der Protest gegen Rüstungswahn und die internationale Zusammenarbeit in der Frauenfriedensbewegung haben ihren Anteil an diesen Schritten nach vorn.
Ein solcher Tag ist nicht gegen das Erstarren im Ritual gefeit. Alljährliche (Pflicht-)Veranstal-tungen machen auch guten Traditionen den Garaus, wenn nicht die allgemeine Bedeutung des I.F. aktuell lebendig wird: Aufforderung zu alltäglichem Widerstand gegen Diskriminierung, Sexismus, Rassismus und Patriarchalismus und Aufforderung zum Engagement für Gleichheit, Demokratie, Eigenständigkeit und Selbstbestimmung. In den östlichen Gesellschaften, auch in der DDR, entwickelte sich im Zuge der Ersetzung der Frauen- durch Mütterpolitik vielfach der I.F. zu einem sozialistischen Muttertag. Wo nach einem verkürzten Verständnis Gleichberechtigung und Emanzipation als verwirklicht galten, sangen alte Patriarchen aus Partei- und Regierungsspitze das Hohe-Leistungs-Lied der Frau und ließen sich für die Segnungen feiern, die sie den Frauen angedeihen ließen.
In praktischer Solidarität vor Ort und international, in alternativen Frauen- und Friedensgruppen, wurde auch hier der eigentliche Sinn dieses Tages erhalten: „sich des Standes und Fortgangs der Frauenbefreiung zu versichern“ (Annemarie Auer, DDR-Literaturkritikerin, 1979).
Literatur
Sigfried Scholze, Der Internationale Frauentag einst und heute, Berlin 2001; Renate Wurms, Wir wollen Freiheit, Frieden, Recht. Der internationale Frauentag – Zur Geschichte des 8. März, Frankfurt/M. 1983.
Renate Wurms