Frauenwahlrecht = Emanzipation?
Anmerkungen zum 100. Jubiläum
Von Florence Hervé
Die Anzahl von Veranstaltungen, Ausstellungen und Veröffentlichungen zum Jubiläum „100 Jahre Frauenwahlrecht“ (und allgemeines gleiches Wahlrecht!) ist groß. Und das ist gut so. War doch das Frauenwahlrecht eine wichtige Errungenschaft im Kampf um die Gleichstellung der Frau.
Zu oft werden dabei allerdings die gesellschaftlichen Zusammenhänge ignoriert, unter denen dieses Recht erkämpft wurde, und die damit verbundenen Möglichkeiten und Grenzen für die Durchsetzung von Gleichstellung.
Erinnert sei daher:
- Das Frauenwahlrecht war Ergebnis jahrzehntelanger Kämpfe der proletarischen und bürgerlichen Frauenbewegungen, der Arbeiter/innenbewegung und der Novemberrevolution. Der von Clara Zetkin und Käte Duncker initiierte Internationale Frauentag spielte dabei eine bedeutende Rolle – nicht zuletzt wegen dessen internationalen Charakters.
- Es wurde darum viel gestritten – in der Sozialdemokratischen Partei, wo es viele skeptische Stimmen gab, und in der Frauenbewegung, wo ein Teil der Bürgerlichen bis 1917 ein Stimmrecht forderte, das auf bestimmte soziale Schichten beschränkt werden sollte („Damenwahlrecht“).
- Es war auch dem Engagement bemerkenswerter Frauen wie Clara Zetkin, Anita Augspurg oder Minna Cauer zu verdanken.
- Und es brauchte die Zusammenarbeit und Solidarität vieler, auch von Männern.
Was zu oft vergessen wird:
Das Frauenwahlrecht bedeutet lange nicht Gleichberechtigung und Emanzipation. Clara Zetkin machte bereits 1889 darauf aufmerksam, dass ein Stimmrecht ohne ökonomische Freiheit ein Wechsel ohne Kurs sei. Sie plädierte während der Novemberrevolution für die Einbeziehung von Arbeiterinnen und Hausfrauen in die Räte, forderte deren volle Teilnahme am Leben der neuen Gesellschaftsorgane „als Beauftragende und Beauftragte“. Und sie warnte davor, sich mit dem „Erreichten zu begnügen“: „Mögen sich die Frauen nicht darüber täuschen und täuschen lassen, dass volle Demokratie nicht für sie geschaffen wird von der Rednertribüne konstituierender Nationalversammlungen, die nur darauf hinauslaufen können, die kapitalistische Ordnung zu verewigen.“
Tatsächlich gaben sich viele Frauen der Illusion hin, mit der formalen Gleichberechtigung sei alles erreicht. So erklärte Gertrud Bäumer, eine der Führerinnen des Bunds Deutscher Frauenvereine, dass es für die Gleichstellung der Frau „im letzten Grunde vollkommen gleichgültig sei, wie der Staat beschaffen ist, … ob es ein parlamentarischer, ein demokratischer, ein faschistischer Staat ist“.
Die sozialdemokratische Frauenbewegung glaubte, die Emanzipation erreicht zu haben, und brachte während der Weimarer Republik praktisch nur noch für den rechtlichen Bereich Vorschläge zur Verbesserung der Stellung der Frau.
Frauen machten während der Nazi-Herrschaft die bittere Erfahrung, dass Rechte – und Erreichtes überhaupt – auch zurückgenommen werden können.
In den letzten Jahren stagniert es in der Vertretung von Frauen in der Politik trotz innerparteilicher Quoten und Quoren. Das von vielen geforderte Paritätsgesetz kann ein Schritt sein, um die Unterrepräsentanz von Frauen in der Nominierungspraxis der Parteien zu unterbinden.
Angesichts von Rückschlägen und Rechtstrends bleibt eine sozialkritische feministische Einmischung aktuell und dringend erforderlich.
Daten:
19.4.1908
Reichsvereinsgesetz: Frauen haben das Recht, Vereine zu bilden und sich zu versammeln.
30.11.1918
Nach Aufruf des Rates der Volksbeauftragten: Das Reichswahlgesetz mit dem allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen tritt in Kraft.
19.1.1919
Wahlen zur Nationalversammlung. Frauenanteil: 8,7 %.
1949
23.6.: BRD: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Art.3. Abs.2/1 des Grundgesetzes.
Frauenanteil im Parlament: 9 %.
7.10.: DDR: „Mann und Frau sind gleichberechtigt. Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben.“ Art.7 der Verfassung.
Frauenanteil in der Volkskammer: 23,8 %.
15.11.1994
Zusatz zum GG: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“.
2017/18
Frauenanteil im Bundestag: 30,7 % (die niedrigste Quote seit 20 Jahren).
Frauenanteil bei Oberbürgermeistern: 8,2 %.
Weiterführende Literatur und Links:
www.100-jahre-frauenwahlrecht.de/jubilaeumskampagne.html
www.frauen-netzwerken.de/
historisches-museum-frankfurt.de/de/damenwahl
www.frauenmuseum.de/ausstellungen/aktuelle/
Dorothea Lindemann (Hg.): Damenwahl!: 100 Jahre Frauenwahlrecht, Ausstellungskatalog, Societäts-Verlag Frankfurt 2018.
Bettina Bab/Gisela Notz/Valentine Rothe/Marianne Pitzen (Hg.): Mit Macht zur Wahl. 100 Jahre Frauenwahlrecht in Europa, Frauenmuseum Bonn 2006.
Hedwig Richter/Kerstin Wolff (Hg.): Frauenwahlrecht: Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa, Hamburger edition 2018.
Kerstin Wolff: Meine Stimme zählt: Die Geschichte des Frauenwahlrechts, Bast Medien 2018.
Clara Zetkin: „Frauen für die Räte. Die Novemberrevolution 1918 und die Frauen“, Rote Fahne, in: WIR FRAUEN Kalender 2018.