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Frühjahr 1/2024

Die Quote als Weg – aber wohin führt dieser eigentlich?

Quotendiskussionen werden hierzulande – mal mehr oder weniger leidenschaftlich – schon seit Jahren geführt: Mit der Gründung der Partei DIE GRÜNEN bezogen sich diese Diskussionen über die Frauenquote jedoch überwiegend auf die Repräsentanz von Frauen in den politischen Parteien und Organisationen. Diese Diskussionen über die Beteiligung von Frauen in den Machtstrukturen des politischen Systems der Gesellschaft haben sich in den letzten Jahren verschoben. Aktuell wird über die Einführung einer Geschlechterquote innerhalb der Strukturen des Wirtschaftssystems debattiert – so auf der Ebene der Aufsichtsräte und Vorstände von Unternehmen. Kritisiert wird die Ungleichbehandlung von Frauen in den Unternehmen, die der Wirtschaft insgesamt schaden würde, argumentieren die GRÜNEN. Jüngst, im Dezember letzten Jahres, fand zu diesem Thema eine Bundestagsdebatte statt. Zur Diskussion standen Gesetzentwürfe der GRÜNEN und der SPD, in denen jeweils eine gesetzliche Regelung für Männer und Frauen für Aufsichtsratsmandate gefordert wird. Auch die Partei DIE LINKE befürwortet die rechtliche Verankerung einer geschlechtergerechten Besetzung in allen Führungspositionen der Unternehmen. Der Bundestag sprach sich jedoch mit den Stimmen der CDU/CSU- und FDP-Fraktionen mehrheitlich gegen eine starre Geschlechterquote aus. Die CDU plädiert stattdessen für eine Flexiquote, die Druck auf Unternehmen ausüben soll, aber ohne „gesetzliche Überregulierung“. Der Druck auf Unternehmen sei ohnehin groß, sich ein „frauenfreundliches Image“ zu geben, so die FDP-Abgeordnete Nicole Bracht-Brendt. Unterstützt wird die Forderung nach einer Quote von einer überparteilichen und überfraktionellen Initiative, der sogenannten „Berliner Erklärung“, die auch von Frauen aus den Fraktionen von CDU und FDP unterzeichnet wurde. Diese Initiative fordert „die tatsächliche Durchsetzung der im Grundgesetz garantierten Gleichberechtigung von Frauen und Männern und die Beseitigung bestehender Nachteile für weibliche Karrieren“. So heißt es in der Erklärung: „Eine verbindliche und sanktionsbewehrte Mindestquote von zunächst mindestens 30 Prozent für die Aufsichtsräte der börsennotierten, mitbestimmungspflichtigen und öffentlichen Unternehmen soll dazu der erste Schritt sein“ (ebd.).

Mit Blick auf die Argumente, die im Rahmen der Debatte um die Quote fallen, werden zwei wesentliche Argumentationsstränge deutlich. Die erste Linie bezieht sich auf die Erfüllung des liberalen Gleichheitsversprechens der bürgerlichen Gesellschaft. Die Parteien SPD, GRÜNE und LINKE sowie die Initiatorinnen der „Berliner Erklärung“ verweisen auf den Art. 3, Abs. 2 des Grundgesetzes der BRD sowie auf weitere rechtliche Regelungen, um damit die gesetzliche Verankerung der Quote zu begründen. Sie sehen das liberale Gleichheitsversprechen noch immer nicht erfüllt. Das Ziel einer demokratischen Gesellschaft sei jedoch, das „Prinzip der Geschlechtergerechtigkeit“ umzusetzen. Eine zweite, differenzfeministische Argumentation hebt den positiven ökonomischen Effekt hervor, den die Teilhabe von Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft verspricht. Die „männliche“ Problemsicht soll mit der „weiblichen“ Sicht erweitert werden, um zu besseren politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen zu kommen. Unterstützt werden diese Argumente durch diverse Studien (Studien von der McKinsey & Company, Inc. und dem Global Markets Institute at Goldman Sachs), die zu belegen wissen, dass Frauen „andere Herangehensweisen“ haben und in wirtschaftlichen Zusammenhängen zu „anderen Schlussfolgerungen“ kommen.

Genau diese Argumentationslinie sollte uns fragen lassen, warum die Forderung nach einer Quote in Aufsichtsräten gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgestellt wird und zudem aus definitiv nicht feministischen Kreisen derart gepusht wird. Denn gerade jetzt – zu einer Zeit, in der der Kapitalismus in einer tiefen Krise steckt – soll Frauen der Zutritt in den männerdominierten Finanzbereich gewährt werden. Erinnert sei hier an die Diskussionen, die zu Beginn der Finanzkrise 2008 im Kontext des Crashs in Island geführt wurden. Hier wurde die Haltung eingenommen, dass die Krise „männlich“ sei und es die Männer „verbockt“ hätten. Plötzlich wurden Frauen auf den Plan gerufen, um das Blatt zum Guten zu wenden: „Islands Frauen verordnen ihrem Land einen weiblichen Weg aus der Krise“.

Diese Perspektive verstellt jedoch den Blick auf die systemischen Zusammenhänge sowie auf die Profitlogik des kapitalistischen Systems insgesamt. Um das Erkennen und Sichtbarmachen jener Zusammenhänge geht es jedoch, will der Feminismus weiterhin ein macht- und herrschaftskritisches Projekt sein. Dazu gehört, sowohl die Frage nach den herrschenden Macht- und Unterdrückungsverhältnissen zu stellen, als auch eine Analyse der Produktionsverhältnisse. In Gesprächen über die Revolution, die die italienische Feministin Rossana Rossanda Ende der 1970er Jahre mit aktiven Frauen aus der linken und feministischen Bewegung geführt hat, geht es um die Frage, wie Veränderung innerhalb der bestehenden Verhältnisse erreicht werden kann. Rossanda kritisiert, dass die Frage nach den Hebelkräften von den italienischen Feministinnen nicht mehr gestellt werde und sie daher auch die reale Macht nicht mehr im Blick hätten (Rossanda 1983: 204). Diese Kritik gilt auch im Kontext der Debatte über die Geschlechterquote in Aufsichtsräten. Die Forderung nach einer Quote in Aufsichtsräten ist eine Punkt-Forderung, die sich auf die Anerkennung und Repräsentanz von Frauen bezieht. Sie ist ein wichtiges liberal-feministisches Anliegen. Aber sie ist ein unzureichendes Anliegen, denn nur zu wenig werden in diesem Kontext beispielsweise soziale Fragen angesprochen, liegen sie doch auf der Hand. Die Ausbeutung als „Elementarform der Ungerechtigkeit“ müsste im Rahmen dieser Diskussion thematisiert werden: Wie sind gesellschaftliche Bereiche wie Wirtschaft, Politik und Wissenschaft eigentlich verfasst? Wie kommt es, dass überwiegend Männer – meist weiß, herkunftsdeutsch, „aus gutem Hause“ und heterosexuell – in diesen Bereichen Macht ausüben? Warum sind Frauen aus vielen „wichtigen“ Entscheidungspositionen ausgegrenzt und aus anderen gesellschaftlichen Bereichen (Erziehungs- und Pflegebereiche) nicht? Anders gefragt: Sind Entscheidungspositionen tatsächlich nur mit 50 Arbeitsstunden oder mehr pro Woche auszufüllen? Wer leistet da zuhause den Rest der Arbeit, meist unsichtbar, gering oder gar unbezahlt? In der „Berliner Erklärung“ für mehr Frauen in Aufsichtsräten ist davon nicht die Rede. Vorrangig geht es um die politische Emanzipation der „Top-Girls“, die das System modernisieren und somit selbst „privilegierte Subjekte des Kapitalismus“ sind (McRobbie 2010). Die Quotenforderung ist somit auch ein Kampf um Anerkennung, nur darf dieser Kampf nicht bedeuten, zu der „männlichen“ einfach nur die „weibliche“ Sicht hinzuzufügen. Es muss darum gehen, die Prinzipien und Maßstäbe dessen, was gesellschaftliche Anerkennung findet, grundsätzlich in Frage zu stellen.

Die Forderung nach einer Quote berührt zudem Fragen der Gerechtigkeit, wenn für mehr Teilhabe von Frauen gekämpft wird. Diese Fragen sollten sich jedoch nicht „nur“ auf die Frage der liberalen, sondern auch der sozialen Gerechtigkeit beziehen. Warum nicht Nachdenken über mögliche Alternativen des Wirtschaftens, um zugleich Fragen der fehlenden gesellschaftlichen Kontrolle, der sozialen Ungerechtigkeit und der Ausbeutung in einem globalen Kontext zu thematisieren? Verlieren wir die Hebelkräfte der Gesellschaft aus unserem feministisch-kritischen Blick, werden unsere vereinzelten Forderungen schnell reaktionär. Mit der Frage nach den Hebelkräften ist zugleich eine weitere wichtige Frage aufgeworfen: jene nach den politischen Bündnissen. Können wir Gesellschaft verändern, wenn wir Bündnisse mit Alice Schwarzer und Friede Springer eingehen? Alice Schwarzer, die für das antifeministische Blatt „Bild“ wirbt und schreibt und den Internationalen Frauentag am liebsten abschaffen möchte, da dieser keine Erfindung der (westdeutschen) Frauenbewegung sei, sondern eine Erfindung des „Ostens“, ein „sozialistischer Muttertag“. Ihre Nähe zu konservativen Feministinnen ist nicht von ungefähr, geht es doch um Teilhabe am Bestehenden und nicht darum, über das Bestehende hinaus zu denken. Das ist der große Unterschied. Noch immer aktuell scheint also das Bedauern, dass Akteurinnen des Feminismus aufgehört hätten, darüber nachzudenken, wie wir die Welt verändern können. Dabei scheint eben dies notwendiger denn je.

Katharina Volk