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Sommer 2/2025

Trotz alledem

von Melanie Stitz

(aus WIR FRAUEN Heft 2/2025)

Trotz – klingt nach bockigem Anrennen mit dem Kopf gegen die Wand, nach richtungslosem Gebrüll und vor der Brust verschränkten Armen, als letzter Ausweg, um Integrität zu behaupten: Macht doch, was ihr wollt. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt. Wirkungsvoller Widerstand sieht anders aus.

Es gibt ein Trotz alledem auch von oben, das Fakten schafft mit Macht und Gewalt, sich hinwegsetzt über Protest, Argumente und Recht. Wenn es zum Beispiel nach Merz und Mitstreitern geht (die männliche Endung ist bewusst gewählt), dann wird das Grundrecht auf Asyl weiter geschliffen. Den 8-Stunden-Tag, von der Arbeiter*innenbewegung erkämpft, können „wir“ uns wohl auch nicht mehr leisten – 13 Stunden Arbeit am Stück sollen arbeitsrechtlich bald zulässig sein. Im Februar hatte Friedrich Merz dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu zugesagt, „Mittel und Wege“ für einen Deutschlandbesuch zu finden. Das bedeutet, den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs – es geht um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – zu missachten. „Wenn er das wirklich macht, dann können wir beim IStGH das Licht ausmachen“, warnt Christoph Safferling, Professor für Internationales Straf- und Völkerrecht.

Vielerorts wird in diesem Jahr an den Deutschen Bauernkrieg vor 500 Jahren gedacht. Arme Bäuer*innen, Städter und Bergleute forderten mit den Zwölf Artikeln von Memmingen gegen Klerus, Fürsten und Raubrittertum eine Art frühkommunistische Utopie ein. Trotz alledem: Jakob Fugger, Handelskapitalist und „Kaisermacher“, gab damals das Geld, um Tausende von Landsknechten anzuheuern und den Aufstand niederzuschlagen. Schätzungsweise 70.000 Menschen wurden grausam geschlachtet.
Wie viele Söldner könnte Elon Musk wohl bezahlen?

Dürren, Fluten, Artensterben – trotz alledem und besseren Wissens werden wir das von den Staaten der Welt vereinbarte 1,5-Grad-Ziel sicher verfehlen. Greta Thunberg wollte 2019 in Davos Managern und Regierungsvertretern das Fürchten lehren – sie sollten „in Panik“ geraten. Andere setzten dagegen auf positive Kommunikation. Sie forderten keinen Verzicht, sondern versprachen mehr Zeit und Gesundheit und Zukunft.

Beide Ansprachen haben ganz offenkundig nicht funktioniert. Mag es theoretisch noch nicht zu spät sein, um den Klimawandel zu bremsen und die von Wissenschaftler*innen beschriebenen Kipppunkte zu vermeiden, so gibt es doch weit und breit keine Kraft, die gewillt und zugleich in der Lage wäre, unserer imperialen Lebensweise Einhalt zu gebieten.

Trotz alledem – so lautet folgerichtig das Motto der Kollaps-Bewegung. Seit einigen Jahren gibt es sie schon in Frankreich, im englischsprachigen Raum wird dazu debattiert, die Klima-Bewegung ist vorn mit dabei. Der Grundgedanke: Es braucht radikalen Realismus statt Verdrängung.

Hopium – eine Mischung aus Hoffnung und Opium – wird uns nicht retten. Hören wir auf, für eine Zukunft zu werben, die so unerreichbar ist, dass sie uns eh niemand abkauft.

Indigo Drau und Jonna Klick, Aktivistinnen u.a. für Klima, Feminismus und Commonisierung, verwenden in ihrem Buch „Alles für alle“ (2024) das Bild einer Eisdecke: Unser Aufbegehren verursacht selten mehr als einen Haarriss, der gleich wieder zufriert. Trotz alledem ist es niemals vergeblich. Eines Tages, wenn wir vielleicht am wenigsten damit rechnen, kann die Eisdecke brechen. Dann ist uns alles, was wir in unseren Kämpfen gelernt und geübt haben und jedes Gedankenspiel, in dem wir mögliche Zukunft erdacht haben, nützlich. Bis dahin bleibt nur, sich einzusetzen für die beste aller möglichen Zukünfte. Die Betonung liegt auf möglich.

Vielleicht geht es dann – also schon jetzt – auch bei den kleinen Dingen ums Ganze. Weil die eine Wildbiene einen Unterschied macht. Weil es auf jeden Lastwagen mit Hilfsgütern ankommt, der die Menschen in Gaza erreicht. Weil es sich lohnt, den Amtsantritt des Kanzlers oder den Parteitag der AfD ein wenig nur zu verschieben.

Rebecca Solnit schrieb 2005 in ihrem Buch „Hoffnung in der Dunkelheit“ zum Irak-Krieg: „Die weltweite Debatte über den Krieg hat ihn um einige Monate verzögert, Monate, die vielleicht vielen Irakern Zeit verschafft haben, Vorratslager anzulegen, ihr Wohngebiet zu verlassen, sich gegen den Angriff zu wappnen.“ – „So haben die Millionen von uns, die auf die Straße gingen, vielleicht ein paar tausend oder auch einige zehntausend Leben gerettet.“

Im Schwerpunkt dieser Ausgabe erinnert Christiana Puschak an Ärztinnen und Psychoanalytikerinnen der ersten Generation, die sich mit Widerstand und Zuversicht gegen viele Widerstände einen Platz in der Medizin erkämpft haben. „Schwierig, eklig, schmerzhaft und einsam“ – so beschreibt Inge Heuschen ihr Leben mit Morbus Menière. Nerocy Chanthirakanthan blickt zurück auf ihren Weg als Rebellin. Jana Flörchinger schreibt, mit Blick u.a. auf El Salvador, Argentinien und die USA, über die „Rache des gekränkten Machos“. Trotz alledem gibt es feministischen Widerstand! Wir stellen Demo-Slogans und ihre Geschichte vor.

Die Ausgabe kann hier bestellt werden.

Wir hatten dazu eingeladen, uns zu schreiben, was euch „Trotz alledem“ weitermachen und handeln lässt. Dr. Monika Rosenbaum, Leiterin des NetzwerkBüros NRW, teilte mit uns zwei Aspekte aus ihrer Arbeit:

30 Jahre Engagement – und kein bisschen müde
Unser Netzwerk Frauen und Mädchen mit Behinderung / chronischer Erkrankung NRW wurde vor 30 Jahren gegründet – und beide aktuellen Sprecherinnen, Claudia Seipelt-Holtmann und Gertrud Servos, waren damals schon dabei. Beeindruckend finde ich, dass sie sich nicht nur so lange engagieren, sondern auch schon davor politisch und aktivistisch aktiv waren.
Natürlich hat sich politisches Arbeiten in den letzten Jahrzehnten verändert, vor allem durch Social Media. Aber die mühsame Arbeit in Gremien bleibt wichtig – gerade jetzt, wo wir Rückschritte erleben. Und was mich bei den beiden immer wieder staunen lässt: Sie setzen sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich in politischen Gremien ein. Sie lassen sich nicht entmutigen – trotz der Barrieren, trotz Sexismus und Ableismus, trotz der persönlichen Herausforderungen. Sie stecken direkte und „strukturelle“ Kränkungen weg und stehen immer wieder auf oder rollen weiter…

Frauen im Krieg – für Inklusion und Menschenrechte
Die Frauen des Dachverbands der Menschen mit Behinderung in der Ukraine leben selbst mitten im Krieg. Trotz-dem kämpfen sie weiter für Menschen mit Behinderung in der Ukraine – durch konkrete Hilfe, Projekte und politische Arbeit. Sie setzen sich unermüdlich für Inklusion und für die Rechte von Frauen ein. Auch hier zeigt sich: Trotz alledem geben sie nicht auf.
Zur Unterstützung hat das NetzwerkBüro die Broschüre „Deutsch-ukrainische Partnerschaften inklusiv denken und gestalten! Tipps für Kommunen und Vereine“ herausgebracht – zu finden unter: netzwerk-nrw.de/downloads oder hier direkt zum PDF.