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Frühjahr 1/2024

Grenzen

Die Zaunreiterin nimmt Platz zwischen den Welten, ein magischer Ort des Sowohl-als-auch und Weder-noch. Die Vorstellung, Grenzen zu überschreiten, beflügelt unsere Fantasie: Was liegt wohl dahinter? Was geschieht, wenn ich das Tabu berühre?

Grenzen trennen die Geschlechter, Klassen, Nationalitäten. Wird es eines Tages möglich sein, sich jenseits dieser Kategorien frei zu realisieren? Der alte Traum von einer solidarischen, grenzenlosen Weltgemeinschaft inspirierte nicht nur die Französische Revolution: Alle Menschen werden Schwestern, werden Brüder …

Die Realität ist dagegen vielerorts unzumutbar: Grenzen verstoßen gegen Freiheitsrechte und bannen Menschen an Orte, an denen sie nicht sicher sind. Sie grenzen aus und schließen ein, verhindern Bewegung und Begegnung, sie verlaufen in Köpfen und/oder, sehr konkret, durch physische Territorien: Grenzen trennen Mexiko von den USA und machen Europa zur Festung gegen Flüchtlinge. Menschen verlieren ihr Leben beim Versuch, die Grenze zu passieren. Die Grenzwacht ist ein lukratives Geschäft und beschleunigt die Entwicklung modernster Überwachungstechnologien.

Eine solche skandalöse Grenze und ihre Folgen beschreibt Karin Leukefeld: die israelische Mauer, die 2004 vom Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag als völkerrechtswidrig verurteilt wurde, aber trotzdem weitergebaut wird. Florence Hervé berichtet von der „Schandmauer“, mit der Marokko seine Machtansprüche gegen die Westsaharuis sichert.

An Grenzen stößt derzeit das neoliberale Projekt. Finanzblasen dehnen sich nicht endlos aus, sie platzen irgendwann. Märkte sind endlich, darum müssen ständig, mal mehr, mal minder gewaltsam, neue erschlossen und KonkurrentInnen vernichtet werden. Endlich ist auch die Profitrate. Der Preis für Milch lässt sich nur so lange drücken, bis sie schließlich billiger ist als Wasser und die Bäuerinnen sie lieber gleich aufs Feld kippen.

Menschen sind endlich, schließlich ist auch der x-te Zusatzjob nicht mehr zu leisten und Arbeit lässt sich nicht weiter verdichten. Auch Flexibilität und „Psycho-Fitness“ haben Grenzen. Burn-out, Ängste, Depressionen … die Liste psychischer Erkrankungen, die der Neoliberalismus kultiviert, ist lang. Begrenzt sind nicht zuletzt die ökologischen Ressourcen, die Belastbarkeit unserer Ozonschicht und der Raum für unseren Müll.

Dennoch: Die Wirtschaftswissenschaften, die wie kaum eine andere interessengeleitet und gleichgeschaltet sind (in keinem anderen Wissenschaftsbereich wird so wenig gestritten), halten an ihrem neoliberalen Glaubensbekenntnis weiter fest. Ein wenig Selbstkritik, ein kleiner Appell an die soziale Verantwortung (Reichtum verpflichtet), eine Prise Pfui für alle, die dann doch allzu gierig sind (ganz so schamlos hoch müssen Bonus-Zahlungen an Manager ja nun auch nicht ausfallen …), ein Tickchen Regulierung, schon lässt sich weitermachen wie bisher. Melanie Stitz wirft Schlaglichter auf die feministische Debatte um die Grenzen der Profitrate und die Suche nach einem Feminismus, der über die Grenzen des Bestehenden hinaus denkt.

Um die Grenzen der Herkunft zu überwinden, entsteht in Oberhausen zurzeit ein interkultureller Frauengarten, Isolde Aigner stellt die Idee der interkulturellen Gärten als Lebens- und Gestaltungsräume für Menschen unterschiedlicher Herkunft vor.

Die Autorin Isabelle Müller erzählt im Gespräch mit Lena Bökenhans von ihren persönlichen Grenzgängen und dass bereits ihre Mutter Dau-Thi-Cuc aus Vietnam eine Grenzgängerin war.

Mechthilde Vahsen, Melanie Stitz, Gabriele Bischoff

 

Inhalt dieser Ausgabe

Leben im Lager, jenseits der Schandmauer

Florence Hervé begegnet Flüchtlingsfrauen in der Westsahara

Utopien denken, über das Bestehende hinaus

Melanie Stitz zeigt Systemgrenz auf

Leben hinter der Mauer in Palästina

Karin Leukefeld berichte von Grenzkontrollen

Was zusammenwächst … Die Bewegung der interkulturellen Gärten

Isolde Aigner war vor Ort

Ein steiniger Lebensweg mit vielen Grenzen

Lena Bökenhaus spricht mit der Autorin Isabelle Müller

 

Krieg und Frieden


Weltweiter Marsch für Frieden und Gewaltfreiheit

Kampagne für saubere Kleidung

Klimawandel: Kampf um Gendergerchtigkeit in Klimadebatte

 

Projekte


25 Jahre FRAuenkulturZEntrum Bielefeld

 

Kultur


FEMMES WITH FATAL BREAKS gegen Gentrifizierung

Christine Belakdahr im Gespräch mit der Schriftstellerin Maïssa Bey

Die Sprachkünstlerin Esther Dischereit

Das Tor ins Leben. Das andere Coffee-Table-Buch

 

Herstory


Wir Frauen gratuliert

Fatwa für Anfänger. Die Taslima-Nasrin-Story

Gesehen


Wüstenblume

Daten und Taten


Ginette Neveu / Benoîte Groult

 

Außerdem

Korinthe: Stellenanzeigen 2010

Hexenfunk

gelesen